Die USA schotten sich wirtschaftlich stärker ab, auf Kosten von Partnern wie der EU oder Japan. Diese sollten nun bei der WTO klagen.

Mit dem Amtsantritt von Präsident Biden hatte sich das Klima in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA zunächst entspannt. So wurden in den Konflikten über die Subventionierung der Luftfahrtindustrie (Airbus/Boeing) und den illegalen US-Zöllen auf EU-Stahlimporte zunächst vorübergehende Lösungen vereinbart, die dann längerfristig endgültig durch Vereinbarungen entschärft werden sollten. Zudem ist mit dem Handels- und Technologierat (Trade and Technologie Council, kurz TTC), der nun schon dreimal auf Ministerebene getagt hat, ein Gremium des Austausches auf einer niederschwelligen Ebene geschaffen worden. Diese durchaus positiven Veränderungen in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA haben in den letzten Wochen und Monaten allerdings deutliche Risse bekommen.

Stein des Anstoßes ist primär das Inflationsbekämpfungsgesetz (Inflation Reduction Act, kurz IRA) der USA. Nach der Unterzeichnung durch Präsident Biden am 16. August 2022, tritt es nun zu Beginn des neuen Jahres in Kraft. Es beruht auf Verhandlungen über den „Build Back Better Act“. Dies war ein von US-Präsident Joe Biden vorgeschlagenes Investitionspaket in Höhe von 1,7 Billionen US-Dollar, mit dem neben dem Klimaschutz historische Investitionen in das soziale Netz der USA getätigt werden sollten. Neben anderen Bestimmungen enthält der IRA vor allem ein großes Investitionspaket in Höhe von 369 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz – die größte Klimainvestition in der Geschichte der USA. Der Inflation Reduction Act soll die Vereinigten Staaten in die Lage versetzen, ihre Emissionen bis 2030 um etwa 40 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren.

Neben Steuervergünstigungen für erneuerbare Energien und Infrastrukturmaßnahmen sieht der IRA neue oder erhöhte Finanzhilfen in Form von Zuschüssen, Darlehen und Kreditbürgschaften vor. Allerdings gibt es für die Gewährung der Förderung klare Vorgaben, die der heimischen Industrie zugutekommen sollen. So wird zwar für Elektrofahrzeuge eine Steuergutschrift in Höhe von 7 500 US-Dollar gewährt. Allerdings muss das Fahrzeug in Nordamerika endmontiert werden. Zudem müssen E-Fahrzeuge bis 2024 mindestens zu 40 Prozent Materialien aus Nordamerika enthalten und die Batterie darf keine Mineralien enthalten, die von einem ausländischen Konzern abgebaut, verarbeitet oder recycelt wurden.

Diese „Made in USA“-Vorgaben ziehen sich durch das gesamte Programm. Neun Förderlinien mit einem Volumen von mindestens 231 Milliarden US-Dollar sind hier zu nennen, vom Elektrofahrzeug über den Stahl für die Windkraftanlage, Batterien, Solaranlagen, Technologien zur CO2-Abscheidung bis zur Erzeugungskette für grünen Wasserstoff. Es werden Bonusgutschriften für US-Unternehmen gewährt, die geltende Löhne und Lehrlingsausbildungen beachten, um sicherzustellen, dass gut bezahlte, hochqualifizierte Arbeitsplätze in den USA unterstützt werden. Neben dem begrüßenswerten ambitionierten Dekarbonisierungsansatz spiegelt der IRA aber eine harte industriepolitische und geopolitische Zielsetzung wider. Zum einen soll der Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft Arbeitsplätze in den USA schaffen. Zum anderen soll die Abhängigkeit von China verringert und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Peking gestärkt werden.

Und es wird eine deutliche Veränderung der Wettbewerbsbedingungen geben. Die vollständige Nutzung der im IRA festgesetzten Steuergutschriften kann zum Beispiel die Kosten der erneuerbaren Energien massiv senken (zwischen 43 und 63 Prozent) und wird somit zu einem deutlichen Ausbau in den USA führen. Obwohl das Gesetz den Namen Inflationsbekämpfungsgesetz trägt, wird es wahrscheinlich nur vernachlässigbare Auswirkungen auf die Inflation haben. Die Preise werden wahrscheinlich nicht sinken. Vielmehr ist es ein industriepolitisches Instrument, das die Transformation begleitet und beschleunigt.

Mit dieser Politik werden als direkte Folge jedoch europäische Produkte vom US-Markt ferngehalten. Noch schwerer wiegt, dass dadurch ebenfalls Investitionen aus der EU in die USA verlagert werden. In der Automobilindustrie, aber auch im Bereich der erneuerbaren Energien sind diese Tendenzen schon jetzt sichtbar. Zudem scheuen sich einzelne Bundesstaaten wie Texas nicht, mit den Subventionen und den derzeit zehnmal niedrigeren Energiekosten im Vergleich zu der EU sowie den weniger strengen Auflagen in den Arbeitsbeziehungen aktiv zu werben.

Die negativen Folgen für die EU sind also offensichtlich. So sollte man Verbündete gerade in der jetzigen globalen Lage nicht behandeln. Die neue US-Gesetzgebung ist zudem mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO unvereinbar. Der IRA diskriminiert europäische Firmen eindeutig. Das Gesetz verstößt gegen das GATT-Abkommen, das ASCM-Abkommen über Subventionen und das TRIMs-Abkommen über handelsbezogene Investitionen. Der Hauptgrund dafür ist, dass die USA ihre Subventionen beziehungsweise Steuervergünstigungen ausschließlich an die Produktion von Rohstoffen, Zwischenprodukten und die vollständige Produktion in den USA knüpfen. Außerdem wird der Gleichbehandlungsgrundsatz der Meistbegünstigungsklausel (MFN) nicht berücksichtigt, da Produkte aus Kanada und Mexiko privilegiert werden.

Was kann Europa tun, um im Wettbewerb mit den USA nicht ins Hintertreffen zu geraten und gleichzeitig den Handelsstreit mit den Amerikanern nicht eskalieren zu lassen? Wir sollten zunächst versuchen, eine Lösung innerhalb der neu eingerichteten IRA-Task Force zu finden. Hier werden zwischen den USA und der EU Möglichkeiten des Abbaus der Diskriminierung in der Umsetzung der Gesetzgebung diskutiert. Es gibt einen gewissen Spielraum in der Formulierung des Gesetzes. Aber der einzig machbare Ausweg scheint die Aufhebung der Anforderungen an den lokalen Produktionsanteil im Gesetz selbst zu sein. Eine Ausnahmeregelung, wie sie im IRA für Mexiko und Kanada vorgesehen ist, sollte die EU nicht verlangen, da dies weiterhin die WTO-Regeln missachten würde. Wenn es nicht möglich ist, innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens durch bilaterale Konsultationen eine Lösung zu finden, sollte die EU einen Fall bei der WTO einreichen, möglicherweise zusammen mit anderen betroffenen Partnern.

Der Gang zur WTO ist kein Akt der Eskalation. Für die EU ist die WTO der Eckpfeiler des Handelssystems, so dass das Einreichen einer Klage kein Akt der Unfreundlichkeit ist, sondern vielmehr ein notwendiger Schritt, um die Bestätigung zu erhalten, dass diese Rechtsvorschriften nicht WTO-konform sind. Es wäre schädlich für den Kern der EU-Handelspolitik und die Glaubwürdigkeit des multilateralen Handelssystems, wenn wir kein WTO-Verfahren einleiten würden, falls keine Lösung gefunden wird.

Neben der Einreichung eines WTO-Verfahrens müssen wir auch über weitere Maßnahmen nachdenken und diese anpacken. So sollte die EU mit Verbündeten und ebenfalls vom IRA betroffenen Ländern wie beispielsweise Südkorea und Japan zusammenarbeiten. Der US-Markt muss für EU Produkte weiterhin geöffnet bleiben. Die EU muss zudem eine industriepolitische Antwort auf den IRA geben. Eine Verlagerung der industriellen Wertschöpfung gerade in Bereichen der Transformation ist nicht hinnehmbar. Wir müssen den Rahmen für staatliche Beihilfen anpassen und modernisieren, aber auf eine zielgerichtete Weise. In diesem Zusammenhang können wir zusätzliche Subventionen gewähren, aber ebenfalls sehr gezielt und auf nachhaltige Innovationen ausgerichtet. Insbesondere müssen wir die Produktion von grünem Wasserstoff beschleunigen.

Was wir hingegen auf keinen Fall tun sollten, ist einen „Buy European Act“ zu entwerfen. Dies wäre mit der WTO unvereinbar und würde dem wirtschaftlichen Wohlstand auf lange Sicht abträglich sein. Die Einrichtung eines neuen EU-Souveränitätsfonds, um Investitionen in grüne Technologie zu subventionieren, erscheint unter den derzeitigen Umständen unrealistisch. Wir sollten vielmehr prüfen, was wir bereits im Rahmen der bestehenden finanziellen Möglichkeiten tun können. Kurz gesagt: Wir sollten nicht ähnliche Maßnahmen wie die USA ergreifen oder gar in ein Subventionsrennen einsteigen, sondern das regelbasierte multilaterale Handelssystem beibehalten und gestalten.

Ein weiterer Punkt, der die transatlantischen Beziehungen derzeit belastet, sind illegale Zölle auf Stahlimporte. Hinsichtlich dieser hatten die EU und die USA im Oktober 2021 eine Stillhaltelösung vereinbart und die EU hat das anhängige Verfahren gegen die USA ruhen lassen. Andere betroffene Staaten haben jedoch die Praktiken der USA vor der WTO zur Anklage gebracht. Anfang Dezember entschied das zuständige Streitschlichtungsgremium, dass die von den USA im Jahr 2018 verhängten 25 Prozent Zölle auf Stahlimporte gegen die Welthandelsregeln verstoßen. Das Panel hat die pauschale Begründung der USA, die Importe bedrohten die nationale Sicherheit, abgelehnt. Es müsse immer objektiv geprüft werden, ob die Gründe einer Regierung, warum sie Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit verhängt, von den WTO-Regeln gedeckt seien. Dies sei nicht der Fall gewesen.

Unverständlich ist nun die Reaktion der USA, denn die Biden-Administration hat das Urteil einfach harsch zurückwiesen. Die USA beabsichtigten keineswegs, den Forderungen des Gremiums nachzukommen. Stattdessen behaupten sie, dass der Schutz der nationalen Sicherheit überhaupt nicht überprüft werden könne. Es verheißt nichts Gutes für die Beilegung von Streitigkeiten, wenn eine Seite einen Anspruch erhebt und die andere Seite vorbringt, sie müsse keine Beweise oder Argumente vorlegen, weil das System einfach ihre Behauptung akzeptieren müsse. Damit laden die USA andere Länder gerade dazu ein, zukünftig das Gleiche zu tun.

Aber auch in dem jüngsten Vorschlag der USA zur Lösung des Konfliktes über die Stahlzölle mit der EU, der Schaffung einer Globalen Vereinbarung über nachhaltigen Stahl (Global Sustainable Steel Arrangement, kurz GSA) von Mitte Dezember, scheint die Frage der WTO-Kompatibilität kaum eine Rolle zu spielen. Allerdings wird nun auch kein Zusammenhang mehr mit der nationalen Sicherheit hergestellt. Interessant ist, dass die USA die Einhaltung international anerkannter Arbeitsrechte in das GSA als Kriterium aufnehmen wollen. Das GSA ist eine Verhandlungsgrundlage für das bilaterale Verhältnis, aber auch hinsichtlich des Umgangs mit der WTO. Keine Frage ist, dass wir mehr Engagement der USA brauchen, um das multilaterale Handelsrecht zu stabilisieren. Dies ist im unmittelbaren Interesse der Europäischen Union mit ihren sehr diversifizierten Handelsstrukturen und Lieferketten.

Es ist klar, dass die EU und die USA in der jetzigen globalen Situation bei Wirtschafts- und Technologiefragen aufeinander angewiesen sind. Es gilt deshalb, die Handelsirritationen anzugehen und den Handels- und Technologierat so zu nutzen, wie er angedacht war, nämlich um neue Wege zu beschreiten und Handelsstreitigkeiten zu vermeiden beziehungsweise diese aus dem Weg zu räumen. Das nächste Treffen des Trade and Technology Council findet im Sommer 2023 in Schweden statt. Die Zeit bis dahin sollte genutzt werden, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.