Die Europäische Union will Unternehmen stärker bei der Transformation unterstützen, auch als Antwort auf ein Investitionsprogramm in den USA. Was gefördert werden soll und ob ein neuer Protektionismus droht, erklärt der SPD-Abgeordnete Bernd Lange.

Deutschland und die EU blicken mit einer Mischung aus Faszination und Sorge auf die USA, wo Präsident Biden mit dem „Inflation Reduction Act“ ein großes Investitionsprogramm aufgelegt hat. Wie fällt Ihre Bewertung aus?

In der Tat hat der IRA zwei Seiten. Die positive Seite sind die umfangreichen Maßnahmen, mit denen der Klimawandel wirksam bekämpft werden soll. Das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent zu reduzieren, ist nicht ganz so ehrgeizig wie das der EU, aber es ist ein Riesenschritt. Positiv am IRA ist auch, dass die Auszahlung von Subventionen mit guter Entlohnung der Beschäftigten und Ausbildung verknüpft ist.

Und die negative Seite?

Ein Großteil der Gesetzgebung und der Subventionen bezieht sich auf die heimische Wirtschaft. Damit wird verhindert, dass europäische Produkte genutzt werden können, Elektroautos etwa oder Windkraftanlagen. Betroffen ist auch die Produktion von grünem Wasserstoff. Das kann in letzter Konsequenz dazu führen, dass sich Unternehmen aus Europa in die USA verlagern. Das betrifft weniger große Konzerne wie etwa Volkswagen, aber zum Beispiel Start-ups. Das empfinde ich als extrem unfair.

© Waldemar Salesski

Für wie groß halten Sie die Gefahr, dass es zu einer großen Abwanderungswelle von Unternehmen kommt?

Groß ist natürlich relativ, aber gerade in Bereichen, in denen Industrien noch nicht sehr stark in regionalen Strukturen verwoben sind und ein Umzug leicht ist, ist die Gefahr der Abwanderung real. Das sind im Zweifel Unternehmen, von denen die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts abhängig ist und die der Maschinenraum der Transformation sind. Ganz konkret weiß ich von einer Wasserstoff-Firma, die komplett nach Texas übersiedeln will.

Anfang Februar hat die EU-Kommission einen „Masterplan“ vorgestellt, mit dem sie Europas Antwort auf den IRA der USA geben will. Sie haben gesagt, dieser könne ein „Gamechanger“ werden für die europäische Industriepolitik. Was macht Sie so optimistisch?

Wir haben in der EU bereits lange darüber diskutiert, dass wir eine aktive Industriepolitik für Europa brauchen. Die Marktradikalen haben lange allein auf Wettbewerb gesetzt und das Credo, der Markt wird es schon richten. Der „Inflation Reduction Act“ ist nun für viele ein Weckruf, dass es ohne staatliche Intervention nicht gehen wird. Deshalb bin ich sehr optimistisch, dass es uns gelingen wird, nun endlich konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Industriepolitik in der EU zu stärken. Die Vorschläge der EU-Kommission machen da Hoffnung. Im Laufe des März werden bereits die ersten Gesetzesvorschläge auf dem Tisch liegen. Endlich bewegt sich etwas.

Sehen das alle im Europaparlament so?

Nein, die Konservativen haben in der vergangenen Plenarwoche, als es um die Positionierung des Europaparlaments zu der Antwort der EU-Kommission auf den IRA ging, dagegen gestimmt – und damit gegen ihre eigene Kommissionpräsidentin. Ich bin mir trotzdem sicher, dass der Masterplan kommen wird.

Ein wichtiger Teil sind Lockerungen des Beihilferechts, sodass die Mitgliedsstaaten die bei ihnen ansässigen Unternehmen stärker unterstützen können. Ein überfälliger Schritt?

Ja, das ist dringend notwendig. Es ist wichtig, Beihilfen flexibel genau in die sensiblen Sektoren geben zu können. Die Gießkanne hilft da nicht weiter. Und es darf auch kein Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Ländern entstehen. Neben den Fragen des Beihilferechts müssen auch Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigt werden. Es ist absurd, wie lange manches da heute dauert. Investitionsentscheidungen werden jetzt getroffen und nicht erst in einigen Jahren. Die Antwort auf „America first“ muss „Europe fast“ sein. Ich hoffe deshalb auch, dass wir die gesamte Gesetzgebung in diesem Jahr werden abschließen können.

Wie müssen Investitionen vorgenommen werden, damit sie die von Ihnen beschriebenen Zwecke erfüllen?

Zunächst geht es darum, die förderwürdigen Sektoren zu identifizieren. Das sind zum einen die, die unter Verlagerungsdruck stehen, etwa weil die Energiepreise so hoch sind. Ein Anker sind hier sicher die Unternehmen, die grünen Wasserstoff produzieren und speichern, weil wir den dringend brauchen, wenn die Transformation gelingen soll. Bei der Frage der Investitionen ist auch wichtig, dass wir den europäischen Konsens nicht infrage stellen, sondern darauf achten, dass gesamteuropäische Projekte im Mittelpunkt stehen, damit möglichst alle Länder davon profitieren können und nicht nur die wirtschaftlich starken.

Die USA haben den IRA, Europa vermutlich bald ebenfalls ein großes Investitionsprogramm. Auch China hat Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Wirtschaft ergriffen. Droht der Welt ein neuer Protektionismus?

Leider sind diese Tendenzen sehr deutlich. Die Welt wird immer fragmentierter. Das trifft die Europäische Union besonders, weil wir eine stark diversifizierte Im- und Export-Struktur haben. Eine globale Ordnung wäre daher eher in unserem Interesse. Wir sollten deshalb die Welthandelsorganisation stärken. Wir haben da auch einige Erfolge erzielt, etwa beim digitalen Handel. Aber um wirklich etwas zu erreichen, brauchen wir starke Partner und der wichtigste sind die USA. Wie weit es gelingen wird, sie wieder zu mehr Multilateralismus zu bewegen, werden die nächsten Monate zeigen.

Aus der deutschen Wirtschaft werden Forderungen zu einem neuen Anlauf für ein Freihandelsabkommen laut. Halten Sie das für realistisch?

Leider nein. Im Moment gibt es daran in den USA keinerlei Interesse, aus keinem politischen Lager. Dort wird sehr stark auf die eigene Innenpolitik geschaut, sodass es zurzeit zu keinem Abschluss oder auch nur Verhandlungen über Freihandelsabkommen kommt, mit keinem Land.