Der Nachmittag gehörte Carola Vogt und der Straßburger Stadtkultur und Stadtgeschichte. Unter Kaiser Tiberius bauten die Römer hier ein Castell jenseits der Rheinniederung auf den Höhen oberhalb der Ill. Begünstigt durch gute Straßenverbindungen entwickelte sich über Jahrhunderte die Stadt, wurde Bischofssitz und Freie Reichsstadt, konnte durch Handel und Gewerbe so reich werden, dass die übermütigen Bürger im 13. Jahrhundert den Grundstein zu der mächtigen Kathedrale legen konnten, die noch heute durch ihre Schönheit die Besucher begeistert. Die Lage der Stadt am Rande des Römisch-Deutschen Reiches und ihre Nähe zu Frankreich zog sie im Laufe der Zeiten immer wieder in kriegerische Auseinandersetzungen. 1681 von Ludwig XIV. besetzt und annektiert, kam sie und das ganze elsässische Gebiet 1871 wieder nach Deutschland und 1918 wieder nach Frankreich zurück.
Dieses Problem der wechselnden Herrschaftsverhältnisse wurde von Carola Vogt sehr bewusst in den Mittelpunkt ihrer Stadtführung gestellt, um deutlich zu machen, wie sehr Straßburg heute ein Symbol für ein Europa ist, in dem die leidvolle Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen vorbei ist.
Zum kulturellen Rahmenprogramm gehörte auch ein Besuch auf dem Weingut Männle im badischen Durbach. Hier zwischen den Topplagen am Durbacher Kochberg erläuterte uns Heinrich Männle die Technik des Weinanbaus und die hohe Kunst der Weinherstellung. Die einheimische Wirtschaft wird natürlich sehr von europäischen Regeln beeinflusst, aber Männle betonte, dass die badischen Produkte sich in vieler Hinsicht von den französischen unterscheiden. Weinanbau findet im europäischen Kontext und in friedlicher Konkurrenz statt. Also der Chardonnay – der französische Name bleibt auch im Badischen erhalten – wird in Frankreich mit Zucker angereichert, aber in Durbach bleibt er natur belassen, ist säurebetont bei 98 Öchsle. Hier schon beginnt die Geheimsprache der Winzer, die Heinrich Männle hervorragend beherrschte. Ein wenig davon können wir jetzt auch, wir wissen um den Unterschied von Qualitätswein und Prädikatswein und können auch Kabinett und Spätlese und Auslese von Beerenauslese und Trockenbeerenauslese und Eiswein unterscheiden. Wir haben eine Ahnung bekommen, was trocken, halbtrocken und lieblich bedeutet; es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir genau wissen, was sich hinter den poetischen Formulierungen „erfrischend cremig, schlank und würzig, kräftig und anspruchsvoll, exzellent und blumig“ in Wahrheit verbirgt. Da könnte vielleicht eine Weinprobe helfen.
Drei Tage Straßburg, drei Tage Europa – ein konzentriertes Bildungsprogramm, das Eindruck machte. So formulierte Henning Hofmann am Ende den Wunsch, dass aus „Europabegeisterten“ nun auch „Europabotschafter“ werden.

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