Der Europaabgeordnete Bernd Lange (SPD) sieht im Mercosur-Handelsabkommen mit Ländern aus Südamerika einen Lichtblick für Niedersachsens Wirtschaft – und macht Vorschläge, wie die EU der Autoindustrie helfen könnte

Warum ist die Einigung über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ein gutes Signal für Niedersachsen in Zeiten der Krise?

Wir leben in einer globalisierten Welt, und die niedersächsische Wirtschaft ist stark von Export geprägt. Allein im verarbeitenden Gewerbe haben wir eine Exportquote von 45 Prozent. Da sind wir auf stabile Märkte angewiesen. Durch das Abkommen mit den Mercosur-Staaten schaffen wir die größte Freihandelszone der Welt mit mehr als 700 Millionen Menschen.

Welche Bereiche können besonders profitieren?

Das Abkommen schafft neue Perspektiven und Stabilität für Industrie und Landwirtschaft. Zölle auf Kraftfahrzeugteile, auf Kraftfahrzeuge und im Maschinenbau fallen weg. Das hilft auch den Autobauern und den Zulieferern. Auch Spirituosen-Hersteller wie Jägermeister können profitieren.

Unter manchen Landwirtinnen und Landwirten regt sich allerdings bereits Protest. Können Sie das nachvollziehen?

Man muss auf die Fakten gucken. Schon jetzt exportiert die EU deutlich mehr Agrarprodukte, als sie importiert: Im letzten Jahr lag der Überschuss bei 70 Milliarden. Im Wesentlichen sind das verarbeitete Produkte, also etwa Käse. Sicherlich sensibel ist die Rindfleischproduktion. In Zukunft soll es 99.000 Tonnen zollfreies Mercosur-Fleisch geben. Schon jetzt importieren wir rund 200.000 Tonnen, auf die bisher Zoll erhoben wurde. Das macht aber gerade mal anderthalb Prozent des gesamten Rindfleischkonsums in der EU aus. Aber hier muss man prüfen, ob am Ende Ausgleichszahlungen für die Landwirte notwendig sind.

Es gibt also keinen Grund zur Aufregung?

Die Diskussion wirkt auf mich ein bisschen zugespitzt. Schon jetzt beziehen Landwirte zollfrei Soja aus Brasilien. Allein im letzten Jahr hat die EU Millionen Tonnen Soja importiert. Da hat keiner gefragt, wie die Produktionsbedingungen in Brasilien sind, es wird einfach der günstigste Preis genommen. Durch das Mercosur-Abkommen haben wir jetzt die Möglichkeit, Standards festzulegen. Also etwa, dass für den Anbau kein Regenwald abgeholzt wird. Aber ganz generell gilt: Das Abkommen ist für den Agrarsektor und auch speziell für die Verarbeitung in Niedersachsen eine Chance.

Nochmal zurück zur Autoindustrie. Allein das Mercosur-Abkommen wird die Autobauer wohl nicht retten können. Welche Maßnahmen sind gefragt?

Es gibt viele Faktoren. In Norwegen waren im letzten Jahr 82 Prozent aller Neufahrzeuge Elektrofahrzeuge. Es gibt eine klare Förderstruktur, die Infrastruktur stimmt, und das politische Ziel ist auch nicht umstritten. Dort sieht man: Wenn man vernünftige Maßnahmen einleitet, geht es auch.

Was muss sich auf der EU-Ebene konkret ändern, um der Autoindustrie zu helfen?

Förderstrukturen müssen europäisiert werden. Wir brauchen mehr Spielraum in den Wettbewerbsregeln. Die Flottengrenzwerte für Verbrenner müssen flexibilisiert werden, ohne das Ziel 2035 (gemeint ist das Verbot von neuen Benzinern und Dieselfahrzeugen ab dem betreffenden Jahr in der EU, d. Red.) infrage zu stellen. Bei den Strafzahlungen muss außerdem ein längeres Zahlungsziel möglich sein, damit der Umbau der Produktion und die Beschäftigung in der Autoindustrie nicht gefährdet werden. Die Maßnahmen müssen jetzt schnell angepackt werden. Es muss in Europa auch zukünftig eine hochleistungsfähige Automobilindustrie geben.

Was ist nötig, um die europäischen Autobauer zurück auf die Erfolgsspur zu bringen?

Ich halte eine neue Förderstruktur für sinnvoll.

In welcher Höhe?

Da will ich mich jetzt nicht festlegen, aber in den USA wird das E-Auto mit 7500 Dollar gefördert. Das könnte ein Vorbild sein.

Welche weiteren Maßnahmen befürworten Sie?

Der europäische Rahmen für Anreizsysteme zum Kauf oder zum Leasing von Elektroautos muss verbessert werden. Es ist wirklich ein Problem, dass die europäischen Hersteller aktuell keine kostengünstigen Elektroautos auf dem Markt haben. Da muss sozial gestaffelt werden, bis dann zum Beispiel 2026 oder 2027 der günstigere ID1 oder der ID2 von Volkswagen auf dem Markt ist.

Mit Donald Trump als neuem US-Präsidenten kommen neue handelspolitische Herausforderungen auf die EU zu.

Ja, wir rechnen damit, dass Trump seine Drohung wahr macht und neue Zölle auf Importe aus Europa erheben wird. Das hat er kürzlich noch mal angekündigt. Allein in Niedersachsen haben wir einen Handelsüberschuss in Höhe von knapp einer Milliarde gegenüber den USA, EU-weit sind es 150 Milliarden. Das ist Trump natürlich ein Dorn im Auge.

Welchen Effekt dürfte das auf Niedersachsen und die EU haben?

Erst einmal wollen wir natürlich verhandeln. Aber unseren Berechnungen zufolge könnten deutliche Teile des Umsatzes wegbrechen oder so teuer werden, dass der Absatz in den USA nicht mehr möglich wäre. Daher wird es Gegenmaßnahmen geben müssen. Wir sind vorbereitet. Die Entwicklung zeigt umso mehr, wie wichtig Handelsabkommen sind, um stabile Märkte zu generieren. Auch wenn das Mercosur-Abkommen allein die USA nicht kompensieren kann, gibt das Hoffnung in unsicheren Zeiten.


Interview: Elisabeth Woldt und und Heiko Randermann


Quellenangabe: HAZ vom 16.12.2024, Seite 7