Seit Jahrzehnten prägt Bernd Lange die Politik in Europa. Im Interview spricht der SPD-Politiker darüber, warum ihn die Arbeit als Abgeordneter noch immer begeistert, über die Debatte zum Verbrenner-Aus und was ihm Sorgen bereitet.

Herr Lange, Sie sitzen seit 1994 mit der Unterbrechung von einer Legislaturperiode im Europaparlament und treten nun wieder an. Was reizt Sie immer noch an dem Abgeordnetenjob?

Da ist das Projekt der Versöhnung in Europa. Ich erinnere mich noch, wie ich damals im Schüleraustausch in Frankreich war und als Deutscher in einem Laden nicht bedient wurde. Es ist beeindruckend, was wir seitdem überwunden haben. An diesem gemeinsamen Europa will ich weiterarbeiten. Zweitens ist es sehr spannend, sich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern auseinanderzusetzen und dann gemeinsam die besten Lösungen für die Menschen in Europa zu finden. Und drittens lerne ich einfach gerne neue Leute kennen. Gerade im Bereich Handelspolitik bin ich oft unterwegs und begegne vielen Menschen und unterschiedlichen Lebensweisen.

Und welche Probleme wollen Sie noch lösen?

Die Fragen der sozialen Sicherheit beschäftigen mich: Mindestlohn und Tarifbindung müssen wir weiter nach vorne bringen. Zudem ist da die Frage der industriellen Wettbewerbsfähigkeit in einer globalen Umwelt. Und wir müssen unsere Außenwirtschaft absichern. In Niedersachsen haben wir im verarbeitenden Gewerbe eine Exportquote von 45 Prozent. Daher brauchen wir faire Partnerschaften mit anderen Ländern, aber auch Instrumente, um unfairen Praktiken zu begegnen. Wir diskutieren etwa gerade Antisubventions- und Antidumping-Maßnahmen.

Wenn es um industrielle Arbeitsplätze in Niedersachsen geht, dann ist der Weg zur Automobilindustrie nicht weit. Die CDU stellt im Wahlkampf das vom Europaparlament beschlossene EU-Verbrennerverbot ab 2035 wieder infrage. Wie stehen Sie dazu?

Diese Ankündigung verunsichert Menschen, die in der Automobilindustrie arbeiten, und Investoren. So kann keine stabile Entwicklung gelingen. Im Moment bieten Elektroautos die mit Abstand beste Energieeffizienz. Aber ich bin immer offen zu fragen, welche Perspektiven es angesichts technologischer Entwicklungen gibt. Deswegen gibt es im Gesetz eine Revisionsklausel für 2026. Dann können wir gucken, wo noch nachgeschärft werden kann.

Gleichzeitig haben wir einen Rechtsruck in Deutschland und auch in Europa. Letzten Umfragen zufolge könnte die AfD 15 Prozent der Stimmen erhalten. Wie bewerten Sie das?

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten, und so halte ich es bei der Wahl auch. Wir gucken mal, wie viel die AfD denn wirklich bekommt. Angesichts der Äußerungen von Maximilian Krah zu den Verbrechen der SS, dem Bruch mit den Rechtspopulisten aus Frankreich und den Enthüllungen über die Verbindungen zum russischen und chinesischen Geheimdienst kann ich mir vorstellen, dass die Umfragen nicht das Endergebnis widerspiegeln. Aber ich gebe Ihnen recht: Es gibt viele Verunsicherungen in den Ländern der EU, und das ist ein Nährboden für Rechtspopulismus. Da muss die Europäische Union mehr Sicherheit bieten.

Es gibt nicht nur Verunsicherung, sondern auch große Wut. Wir haben das bei den Bauernprotesten gesehen. Davon profitiert die AfD, aber ebenso die Bauernpartei und wohl auch das Bündnis Sahra Wagenknecht. Macht Ihnen das Sorgen?

Ja klar, das macht mir Sorgen. Und oft ist es schwierig, mit den Menschen zu diskutieren. In vielen Bereichen haben die Rechtspopulisten es geschafft, sich mit scheinbar einfachen Antworten als Alternative zu dem bisherigen System darzustellen. Das zu widerlegen braucht Zeit – das merke ich auch in den Gesprächen an den Haustüren.

Und was entgegnen Sie dann Landwirten, die auf die EU schimpfen?

Fast alle Gesetze zur Landwirtschaft werden inzwischen in der EU gemacht. Und da gab es einige Vorschläge, die den Bogen überspannt haben. Etwa das mögliche Verbot von Pflanzenschutzmitteln, das dem niedersächsischen Weg widersprochen hätte. Es ist nach wie vor richtig und gut, dass alle Beteiligten – Landesregierung, Bauernverbände und Bund – sich an einen Tisch setzen, um Wirtschaftlichkeit mit Nachhaltigkeit zu verbinden. Solche Ansätze darf man nicht durch Gesetzgebung infrage stellen. Aber das fundamentale Problem in der Landwirtschaftspolitik ist für mich, dass der Primärproduzent in der Wertschöpfungskette keinen fairen Anteil bekommt. Und deswegen werden wir die Handelspraktiken revidieren, um hier mehr Gerechtigkeit zu bekommen.

Sie sind Vorsitzender des wichtigen EU-Handelsausschusses und außerdem Vorsitzender der Konferenz der Ausschussvorsitzenden. Trotzdem gelten sie als einer der wohl unbekanntesten Spitzenpolitiker Niedersachsens. Wie erklären sie sich das?

Ein Journalist hat mal in einem Interview festgestellt, dass ich nicht so der bullrige Typ bin. Ich bin Friese – ruhig und gelassen. Und ich versuche, durch eigenes Wirken zu überzeugen. Das führt vielleicht dazu, in der medialen Wirklichkeit nicht so im Vordergrund zu stehen. Dafür gibt es mir in meinen Funktionen im Parlament die Möglichkeit, im Hintergrund die Räder zu drehen. Insofern beschwere ich mich nicht. und Elisabeth Woldt 

Zur Person

Der SPD-Abgeordnete Bernd Lange ist seit 1994 (mit einer Legislaturperiode Unterbrechung) Mitglied des EU-Parlaments. Seit 2014 ist er der Vorsitzende des Handelsausschusses und seit 2022 Vorsitzender der Ausschussvorsitzenden des Europäischen Parlaments. Damit ist der 68-Jährige einer der wichtigsten Politiker der EU.

Geboren wurde Bernd Lange in Oldenburg. Er studierte in Göttingen evangelische Theologie und Politikwissenschaft und war danach im Schuldienst am Gymnasium Burgdorf tätig. Lange hat zwei Kinder und lebt in der Region Hannover. In seiner Freizeit fährt der Oldtimer-Fan gerne Motorrad oder bastelt an seinem 1968er-Hanomag.

Quellenangabe: HAZ vom 05.06.2024, Seite 7