Blei und historische Fahrzeuge – eine Erklärung und Einschätzung von Bernd Lange MdEP
In den letzten Wochen hat sich eine Diskussion in der Szene über eine mögliche neue Regulierung von metallischem Blei entwickelt. Beigefügt dürfen wir Ihnen die Erklärung und Einschätzung von Herrn Bernd Lange MdEP, Vorsitzender der Historic Vehicle Group im Europäischen Parlament, übersenden.
Europaabgeordneter Bernd Lange MdEP ist selbst passionierter Oldtimerfan und Gründer der Historic Vehicle Group im Europäischen Parlament. Weitere Infos hierzu finden Sie im ADAC Oldtimer-Ratgeber 2022/2023. Die Online Version der Broschüre finden Sie aktuell unter der folgenden Internetseite: https://www.adac-motorsport.de/oldtimer-interessenvertretung/oldtimer-ratgeber
Im Kapitel 1 „Interessenvertretung“ finden Sie ab Seite 42 weitere Informationen zur Historic Vehicle Group (HVG) des Europäischen Parlaments. Falls Sie die gedruckte Version des neu erschienenen ADAC Oldtimer-Ratgebers in Ihrem Club oder bei Ihren Veranstaltungen verteilen möchten, senden wir Ihnen die Broschüre mit 228 Seiten Umfang im DINA5 Format gerne zum Verteilen an Ihre Club-Mitglieder kostenlos zu – kurze Rückmeldung mit Liefer-Adresse genügt (VPE: je Karton sind jeweils 30 Stück enthalten).

Blei und historische Fahrzeuge - Bernd Lange, 20.05.2022

1) Die Diskussion über die zukünftige Verwendung von metallischen Blei sollte sachlich geführt und nicht skandalisiert, werden. Sicherlich ist nicht beabsichtigt, dass die Diskussion „bedroht und schädigt das technische Kulturerbe der gesamten Menschheit“.

Denn worum geht es eigentlich?

Wir haben ernsthafte Probleme mit gefährlichen chemischen Substanzen in unserer Umwelt. Diese schädigen Menschen, Tiere und unserer Lebensgrundlagen. Deshalb hat die Europäische Union ein Gesetz entwickelt, dass die frühere Regelung: erst produzieren, verwenden, dann vielleicht bei erkannten Schäden reparieren (z.B. Asbest), vom Kopf auf die Füße stellt (REACH, Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals ‚Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien). Alle Chemikalien werden untersucht und umfassend bewertet und danach entweder verboten, beschränkt zugelassen oder unbeschränkt zugelassen, wenn ungefährlich.

2) Die Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) hat im Laufe der Zeit die sogenannte Kandidatenliste erarbeitet, die besonders gefährliche Chemikalien auflistet. 2022 sind auf der Liste nunmehr 223 besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC), wobei einige dieser Stoffe Gruppen von Chemikalien abdecken, sodass die Gesamtzahl der betroffenen Chemikalien höher ist. Das Aufnahmedatum eines Stoffes auf die Kandidatenliste ist für die Produzenten und Importeure von Erzeugnissen verbunden mit einer Meldepflicht für das Inverkehrbringen des jeweiligen Stoff.

Also es geht um das zukünftige Inverkehrbringen von Chemikalien, nicht um den Bestand.

Insofern sind Diskussionen, dass historische Fahrzeuges nicht mehr genutzt werden können, gegenstandslos.

3) Blei und Bleiverbindungen stehen zu Recht auf der Kandidatenliste. Metallisches Blei und alle seine Verbindungen sind für den Menschen sehr giftig. Blei greift vor allem das Nervensystem und das Gehirn an. Blei als Schwermetall baut über lange Zeiträume sich nicht ab. Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt Blei unter den top ten der gesundheitsschädlichsten Substanzen. Blei in der EU wurde bereits aus Farben, Buntstiften, Benzin und Wasserleitungen verbannt. Insgesamt gelangen nach Schätzungen in der EU doch noch jährlich 100.000 Tonnen Blei in die Umwelt, allein 14 Prozent davon durch die Jagd.

4) Nun könnte metallisches Blei vielleicht auch in das Verzeichnis der zulassungspflichtigen Stoffe (Anhang XIV) der REACH-Verordnung aufgenommen werden. Die Aufnahme in die Zulassungsliste bedeutet, dass der Stoff ersetzt wird oder nur mit einer Zulassung für bestimmte Anwendungen verwendet werden darf. Die Zulassungsliste zielt darauf ab, die Risiken im Zusammenhang mit besonders besorgniserregenden Stoffen (SVHC) zu minimieren, indem sichergestellt wird, dass sie während ihres gesamten Lebenszyklus ordnungsgemäß kontrolliert werden. Auch soll ein Ersatz für den SVHC gefunden werden, sofern technisch und wirtschaftlich machbare Alternativen verfügbar sind. Der Prozess zur Aufnahme von Stoffen in den Anhang XIV beinhaltet mehrere Schritte. Zunächst hat die ECHA Anfang Februar 2022 in ihrem neuen Empfehlungsentwurf , dem 10., vorgeschlagen, metallisches Blei in den Anhang XIV der REACH-Verordnung aufzunehmen. Vor der Übermittlung der Empfehlung der ECHA an die EU-Kommission muss eine 90-tägige öffentliche Konsultation stattfinden, damit die Industrie und andere Interessengruppen zu dem Vorschlag Stellung nehmen können. Die 90 Tage Konsultation endete am 2. Mai 2022.

5) Nun werden die Eingaben analysiert und auch die sozio-ökonomischen Auswirkungen aufgearbeitet. Eine Entscheidung über eine mögliche Aufnahme in den Anhang XIV der REACH-Verordnung wird dann frühestens dann in 2023 getroffen werden. Die ECHA gibt eine Empfehlung ab und die EU- Kommission würde dann entscheiden, ist an die Empfehlung der ECHA aber nicht gebunden. Also ist noch nichts entschieden.

6) Ein Konsortium von 90 Unternehmen z.B. fordert die ECHA, die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den vorgeschlagenen REACH-Zulassungsprozess zu stoppen, der eine Reihe von EU-Industrien bedroht, darunter auch Hersteller von Bleibatterien. Sie sind der Meinung, dass es bereits seit langem bestehende Risikomanagementmaßnahmen gibt, die die von der Bleiexposition ausgehenden Risiken begrenzen. Blei wird neben der Batterieherstellung, der Luftfahrt, der Feinmechanik, den erneuerbaren Energien, Energiespeicherung und der Raumfahrt, Zudem würde ein Zulassungsverfahren Unternehmen der Kreislaufwirtschaft von recycelten Metallen und Materialien belasten.

7) Bei einem Zulassungsverfahren würde es doch nur darum gehen können, den ungeregelten Verbleib in der Umwelt zu verhindern. So könnte ich mir durchaus eine Beschränkung von metallischem Blei in Jagdmunition vorstellen. Starterbatterien jedoch werden z.B. in geschlossenen Kreisläufen gehandelt und zu fast 100% recycelt. Zudem ist hier eine Substitution überhaupt nicht in Sicht und angesichts des System auch nicht nötig. Die europäische Batterierichtlinie 2006/66/EG regelt zudem das Inverkehrbringen sowie die Kennzeichnung, Rücknahme und Entsorgung von Batterien und Akkumulatoren, erlegt Produzenten, Verbrauchern und Handel diesbezügliche Pflichten auf und gibt Höchstgrenzen für in Batterien enthaltene Schadstoffe und Schwermetalle vor. Der Einsatz organisierter Rücknahmesysteme führt zu einem verminderten Aufwand bei der Entsorgung von Altbatterien sowie neuner und kostengünstigen Recylingmöglichkeiten von Rohstoffen. Die Batterierichtlinie ist gerade in der Überarbeitung hinsichtlich der Batterien für E-Fahrzeuge.

8) Die Arbeitsgruppe für historische Fahrzeuge (HVG) im Europäischen Parlament begleitet relevante politische Entwicklungen kritisch. Zu Beginn hat sich die HVG insbesondere um eine erste europaweite Definition von historischen Fahrzeugen bemüht, die als Meilenstein dann zuerst Eingang in die europäische Gesetzgebung zur periodischen technischen Überwachung fand. Diese Definition ist zum europäischen Standard geworden. Ebenso ist die Arbeitsgruppe schon länger im Dialog mit der ECHA und der EU-Kommission über die Frage, ob es eine Ausnahmeregelung für Ersatzteile für historische Fahrzeuge geben kann, auch wenn sie Stoffe enthalten, die heute nicht mehr zulassungsfähig wären, da sonst vielfach keine adäquaten Ersatzteile mehr verfügbar wären. Entwicklungen mit Substituten sind aufgrund der geringen Nachfrage nicht wirtschaftlich und in ihrer Wirkung auch nicht überschaubar. Insofern ist auch bei einer möglichen Aufnahme von metallischem Blei in den Anhang IV der REACH Verordnung genau auf die jeweilige Anwendung zu achten und dann auch bei den Zulassungsmöglichkeiten Ausnahmen für die Wartung historischer Fahrzeuge entsprechend auszugestalten.

9) Metallisches Blei ist in gewisser Weise erfasst neben der Batterie-Richtlinie, und REACH, auch von der Altautorichtlinie. Hier gehts aber um die Verwertung von Automobilen. Dort gibt es eine Ausnahme für historische Fahrzeuge, die ich übrigens in die Richtlinie damals mit eingebaut habe, damals noch unter dem Begriff Oldtimer. Bei den geplanten Neu-Regelungen dieser drei Gesetzgebungen muss die Kohärenz im Auge behalten werden und und eine generelle Ausnahme analog der entwickelten Definition für historische Fahrzeuge verankert werden. Hier wird die HVG sicherlich auch besonderes aufmerksam sein.

Die gesellschaftlichen Anforderungen an Mobilität verändern sich. Alternative Mobilität durch E-Fahrzeuge und Digitalisierung sind die offensichtlichen Beispiele dieser Veränderungen. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, welche Rolle den historischen Fahrzeugen zukommt. Die Szene der historischen Fahrzeuge sollte mit pauschalen
Attacken vorsichtig sein. Wir wollen unsere historischen Fahrzeuge, das Automobile Kulturgut auf der Straße sehen und das bedarf Ausnahmen und Verständnis von der Gesellschaft. Eine Akzeptanz von historischen Fahrzeugen ist nicht per se gegeben. Deswegen gilt es, den Prozess zur Bewertung von Blei sachlich zu begleiten