Bisher pflegt Deutschland enge Handelsbeziehungen zu China. Nach der Veröffentlichung der Bilder aus chinesischen Lagern fordern Politiker einen Kurswechsel.
Es sind Bilder aus dem Innersten eines unmenschlichen Unterdrückungssystems: Ein Mann mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf kauert vor Polizisten mit Schlagstöcken, seine Hände und Füße sind gefesselt. Auf einem anderen Foto ist der Rücken eines Insassen zu sehen, die Haut von lilafarbenen Striemen überzogen.

Ein Leak von chinesischen Regierungsdaten gibt erstmals konkrete Einblicke, wie China die muslimische Minderheit der Uiguren systematisch unterdrückt und misshandelt. Der SPIEGEL wertete die Bilder und Dateien gemeinsam mit internationalen Medienpartnern aus. Sie zeigen die Folgen von Überwachung und Folter. Sie erzählen, wie Menschen wegen Bagatellen jahrzehntelang weggesperrt werden. Sie dokumentieren, wie die chinesische Regierung in der Region Xinjiang systematisch Menschenrechte verletzt.

Die deutsche Politik wird dadurch einmal mehr mit einem Dilemma konfrontiert, das sie selbst geschaffen ist. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu China sind eng, gleichzeitig belegen die Xinjiang Police Files nun, wie der chinesische Staat eine ganze Volksgruppe drangsaliert. Braucht es also nicht nur im Verhältnis zu Russland eine Zeitenwende, sondern auch in der Beziehung zu China? Und wie soll das Verhältnis zu einem Staat aussehen, der Hunderttausende Menschen mithilfe eines umfassenden Überwachungsapparats unterdrückt und sie in Internierungslagern quält? […]

Gesetz gegen Produkte aus Zwangsarbeit

Ähnlich klingt der Linkenpolitiker Wulf Gallert, Vizepräsident im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Belege für schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren seien »immer stichhaltiger« und könnten »nur durch maximale Transparenz der chinesischen Regierung selbst« widerlegt werden.

Doch wie viel Transparenz ist von China wirklich zu erwarten? Die chinesische Regierung behauptet bis heute, bei den Internierungslagern handle es sich um berufliche Fortbildungseinrichtungen, deren Ziele die Armutsbekämpfung und der Kampf gegen extremistisches Gedankengut seien; der Aufenthalt in den Lagern sei freiwillig. Es gilt daher als unwahrscheinlich, dass China der Uno-Kommissarin Bachelet ermöglichen wird, sich ein unabhängiges Bild der Lage zu machen.

In der EU bereitet man sich deshalb schon darauf vor, im Zweifel Druck aufzubauen. Die Xinjiang Police Files würden eindeutig belegen, was in der chinesischen Region vorgeht – »das muss Konsequenzen haben«, sagte Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des mächtigen Außenhandelsausschusses des Europaparlaments. Dort bereitet man bereits ein neues Gesetz vor, es soll die Einfuhr von Produkten verbieten, die auf Zwangsarbeit beruhen. »Das wird durch die neuen Enthüllungen sicher noch einmal eine neue Dynamik bekommen«, so Lange.

Wirken Sanktionen?

Er erwartet, dass auch der Druck auf europäische Firmen zunehmen wird, ihre Lieferketten offenzulegen und nachzuweisen, dass sie frei von Zwangsarbeit sind. Zudem habe Peking erst im April die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, die den Einsatz von Zwangsarbeit untersagen. »Es ist absurd, dass China in der Realität offensichtlich das genaue Gegenteil tut«, so Lange. »Dafür werden wir Peking diplomatisch hart angehen.«[…]