Eingabe Bernd Lange, 10.10.2024

Die Deutschen Bundesländer haben am 26. September 2024 einen Staatsvertragsentwurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ReformStV) zur öffentlichen Anhörung freigegeben. Anliegend möchte ich hier eine Eingabe aus europäischer Sicht, aus Sicht eines Europaabgeordneten machen:

Neben vielen positiven Aspekten der vorgeschlagenen Reform des Staatsvertrages (zum Beispiel stärkere Interaktion von den Nutzern zu den Angeboten oder auch die Kooperation der unterschiedlichen Sparten) habe ich Anfragen zu drei grundsätzlichen Bereichen, in denen meiner Ansicht nach, nicht die sich fundamental geänderte gesellschaftliche Realität hinreichend aufgegriffen wurde.

Es ist klar und eigentlich eine Allgemeinheit, dass sich das Nutzerverhalten gegenüber den Medien deutlich geändert hat. U.a. zeichnen die ARD -Mediendaten oder die ARD/ZDF - Online Studien und besonders die ARD/ZDF Medienstudie 2024 hier ein klares Bild. Und diese neue Nutzung kennt keine nationalen Grenzen hinsichtlich des Angebotes mehr.

Neben dem veränderten Nutzerverhalten verschwinden im digitalen Bereich die traditionellen Grenzen von Print-Presse, längeren Textdarstellungen, Fotojournalismus, Nachrichtensendung etc. Es gibt den Post, die News, die Audio Message oder das Video, was schnell und aktuell ins Netz gestellt wird. Dabei gibt es das Risiko der Falschberichte, der Propaganda, der von außerhalb der EU staatlich organisierten Obstruktion. Ein abschreckendes Beispiel ist sicherlich der Missbrauch der Plattform „X“ (früher Twitter) als Propagandainstrument.

Die Europäischen Union tritt hier eindeutig, basierend auf den europäischen Werten, u.a. festgelegt in der „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, für die Qualität der Berichterstattung und für Meinungsfreiheit ein. Mit dem "Digital Services Act" (DSA) und dem "Medienfreiheitsgesetz" (EMFA) hat das Europäische Parlament grundlegende gesetzliche Regelungen verabschiedet. Die neuen Vorschriften des EMFA gelten in vollem Umfang ab dem 8. August 2025. Hier wird besonders betont: „Öffentlich-rechtliche Mediendienstanbieter spielen eine besondere Rolle im Binnenmarkt für Mediendienste, indem sie im Rahmen ihres Auftrags, wie auf nationaler Ebene entsprechend dem Protokoll Nr. 29 über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Mitgliedstaaten im Anhang zum EUV und zum AEUV festgelegt, dafür sorgen, dass Bürger und Unternehmen Zugang zu einem vielfältigen Angebot an Inhalten, einschließlich zu hochwertigen Informationen und einer unparteiischen und ausgewogenen Medienberichterstattung, haben. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Wahrung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, indem sie es den Menschen ermöglichen, vielfältige Informationen zu suchen und zu erhalten, und die Werte der Demokratie, der kulturellen Vielfalt und des sozialen Zusammenhalts fördern. Sie bieten ein Forum für öffentliche Diskussion und ein Mittel zur Förderung einer breiteren demokratischen Teilhabe der Bürger.“

Und weiter in Artikel 5, (1) „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass öffentlichrechtliche Mediendienstanbieter redaktionell und funktional unabhängig sind und ihrem Publikum im Einklang mit ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie auf nationaler Ebene entsprechend dem Protokoll Nr. 29 festgelegt, auf unparteiische Weise eine Vielzahl von Informationen und Meinungen bieten.“

Damit wird sehr deutlich der Auftrag zur Stärkung der Demokratie in Europa betont. In einer Europäischen Union, die sich zur weiteren Integration bekennt und einen Binnenmarkt, einen Raum der Freiheit bildet, ist das natürlich auch ein europäischer Auftrag. Schon immer haben wir das im Europäischen Parlament so verstanden, ich erinnere nur an die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen“ von 1989, womit die freie Verbreitung der europäischen Fernsehprogramme innerhalb des EU-Binnenmarktes gewährleistet sowie Anliegen des öffentlichen Interesses, wie etwa die kulturelle Vielfalt, den Schutz Minderjähriger und das Recht auf Gegendarstellung, bewahrt werden sollte. Schon damals war der Ansatz stark mit der Förderung der europäischen Integration verbunden. Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste setzt dies fort. Dieser europäische Ansatz ist heute notwendiger denn je und muss weiterentwickelt werden, wie der am 9. Mai 2023 angenommene, kritische Implementierungsbericht zeigt.

Insofern setze ich mich in drei Bereichen für Änderungen an dem Staatsvertragsentwurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ReformStV) ein:

1) Stärkere Digitalisierung

Angesichts der Realität der Mediennutzung ist eine schnellere und stärkere Digitalisierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zentral, wenn ein Bedeutungsverlust vermieden werden soll. Zwar gibt es in dem Entwurf den Hinweis, den Digitalisierungsausbau schnell voranzutreiben, die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Online-Auftrages zu einem gemeinsamen „Public Open Space“, durch stärkere Vernetzung der Angebote, zu verbessern. Ebenso erscheint die Vereinbarung eines gemeinsamen technischen Plattformsystems sinnvoll. Aber insgesamt findet sich im Reformstaatsvertrag keine hinreichende und durchgreifende Verankerung der Digitalisierung. Es gibt sogar Elemente, die der Digitalisierung entgegenstehen. Es gilt aber das veränderte Mediennutzungsverhalten aufzunehmen, hier die Priorität zu setzen und die Angebote im Sinne des Auftrages und zur Stärkung der europäischen Demokratie entsprechend zu gestalten. Sicherlich wird man auf europäischer Ebene bei der anstehenden Revision der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste über einen Vortrag in der Sichtbarkeit der öffentlich-rechtlichen Angebote zu diskutieren haben, aber ohne adäquates Angebot mit guten Online-Inhalten mit Text, Musik, Bild und allem, was dazu gehört, hilft das auch nicht.

2) Presseähnlichkeit

Der im Reformentwurf verankerte Ausschluss von Presseähnlichkeit ist absolut nicht mehr zeitgemäß und steht völlig im Widerspruch zu den gesellschaftlichen Entwicklungen. Ohne den Anspruch der NutzerInnen auf ein zeitgemäßes „Komplettangebot“ befriedigen zu können, bedeutet dies einen qualitativ schlechteren, öffentlich-rechtlichen Rundfunk im digitalen Zeitalter. 

Natürlich ist mir bewusst, dass mit der Regelung Presseverlage geschützt werden sollen. Aber ist das eine realistische Perspektive? Auf der einen Seite verschlechtert man das Angebot der öffentlich-rechtlichen Anbieter und auf der anderen Seite sehen wir immer mehr Verlage, die sich von der Fläche zurückziehen, die Redaktionen zusammenlegen und somit keine zusätzlichen, gerade lokale, Informationen erreichbar sind. Sollte es nicht mehr um Kooperation zwischen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehen, um Pluralität und Qualität im Netz zu sichern? Zudem erscheint überhaupt nicht belegt zu sein, dass durch öffentlichrechtliche Textangebote Umsatzeinbußen der Verlage entstehen. Hier wirken andere Faktoren. Außerdem nutzen natürlich Verlage alle Möglichkeiten des Netzes sehr wohl. Mit der geplanten Regelung des Ausschlusses der

Presseähnlichkeit gehen Unsicherheiten und Einschränkung der redaktionellen Möglichkeiten einher, gerade wenn man auch an Investigativen Journalismus denkt. Insofern ist es absurd eine Veröffentlichung von Textangeboten von vier Kriterien abhängig zu machen: 1.) eine Aktualitätsklausel 2.) Bezug zu eigener Sendung 3.) Texte sind primär sendungsbegleitend 4.) jeweiliges Portal als Bezugspunkt.

Sinnlose Rechtsstreitigkeiten sind vorprogrammiert. Bestimmte Berichte würden so nicht auf zentralen Plattformen mehr möglich sein und viele crossmediale Recherche und die strategische Berichterstattung erschwerter Texte, sind außerdem ein wichtiges Instrument zur barrierefreien Berichterstattung sowie für die Auffindbarkeit der Angebote, das weiß nun jede/r, der eine Website betreibt. Dieser Presseähnlichkeitsausschluss ist derart anachronistisch, dass man es kaum nachvollziehen kann.

3) Reduzierung/Umwidmung des ARTE Auftrages

In dem Entwurf wird glücklicherweise ARTE nicht in Frage gestellt, soll aber mit 3sat in einen Korb geworfen werden. Bei der Aufgabenbeschreibung für ARTE wurde ein neuer Passus eingefügt: „In Abstimmung mit den beteiligten öffentlich-rechtlichen Veranstaltern sollten die Inhalte von 3sat „teilweise oder vollständig“ in das ARTE-Programm überführt werden.“ Ich habe meine großen Zweifel, ob diese Verschmelzung dem Auftrag von ARTE dienlich ist. ARTE ist kein deutschsprachiger Kultursender und soll es nicht werden! Ich möchte mich jetzt nicht zu der Bedeutung der Kultur in dem Reformvorschlag äußern. Da gibt es viele Stimmen, die von einer Schwächung reden, gerade aufgrund der Zusammenlegung von Spartenkanälen. Mir geht es um die Weiterentwicklung von ARTE als europäisches Projekt. Der Sender sollte eine über deutsch-französische Zusammenarbeit hinausgehende europäische Rolle einnehmen. Mit nun Sendungen in 6 Amtssprachen, mit einer Abdeckung von ca. 70% der Sprachrealität in der EU, hat sich ARTE zu einem europäischen Sender entwickelt. Zwar ist 3sat auch kein rein deutsches Projekt, hat aber doch eine völlig andere Ausrichtung. Qualitativ gute Kultursendungen und News aus Europa im Fernsehen und im Netz, das stärkt europäische Demokratie und Integration. Und hier würde ich mir als Europaabgeordneter deutlich mehr Ressourceneinsatz wünschen.

Finanzierung

Und mit dem Ressourceneinsatz für ARTE sind wir bei der generellen Frage der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wir brauchen sicherlich eine langfristige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es kann nicht sein, dass ein scheinbar wichtiger Punkt der Reform und unterschwellig überall mitschwingend mögliche Einsparungen sind, ohne deutlich zu machen, wie die einzelne Schritte wirken und wann sie wirken. Denn es ist völlig klar, die im Reformstaatsvertrag vorgesehenen Maßnahmen haben keine Auswirkung auf die aktuelle KEF-Empfehlung! Die von der KEF im Februar ausgesprochene Empfehlung zur Anhebung des monatlichen Rundfunkbeitrages, ab 2025 von 18,36 € auf 18,94 €, ist endlich umzusetzen. Insofern erscheint mir eine Verknüpfung der Entscheidung der Länder über die Umsetzung der KEF-Empfehlung, mit den geplanten Reformen, nicht gerechtfertigt.

Kooperationen, neue Technologien und Flexibilität lassen sicherlich auch Einsparungen möglich werden und das ist sicherlich richtig. Aber prinzipiell geht es um die Frage, angesichts der politischen Wirklichkeit, wieviel uns die Demokratie in Europa wert ist. Zum Schluss möchte ich hier noch auf das Medienfreiheitsgesetz (EMFA) verweisen: Artikel 5, (3) „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Verfahren zur Finanzierung von öffentlich-rechtlichen Mediendienstanbietern auf transparenten und objektiven Kriterien beruhen, die vorab festgelegt werden. Diese Finanzierungsverfahren müssen sicherstellen, dass öffentlich-rechtliche Mediendienstanbieter über angemessene, nachhaltige und vorhersehbare finanzielle Mittel verfügen, die der Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Auftrages und ihrer Kapazität zur Entwicklung im Rahmen dieses Auftrags entsprechen. Diese Finanzmittel müssen so beschaffen sein, dass die redaktionelle Unabhängigkeit öffentlichrechtlicher Mediendienstanbieter gewahrt wird.“