„Eskalation des Handelsstreits EU-China vermeiden“

Der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament und niedersächsische SPD-Europapolitiker Bernd Lange zu dem bevorstehenden Abschluss der Antisubventionsuntersuchung zu chinesischen Elektrofahrzeugen und möglichen Ausgleichszöllen:

„Die Zeit der Spekulationen hat endlich ein Ende. Die Europäische Kommission wird voraussichtlich Anfang nächster Woche einigen in China ansässigen Automobilherstellern mitteilen, in welcher Höhe EU-Ausgleichszölle auf batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEVs) erhoben werden sollen. Die Zölle würden dann ab dem 4. Juli gelten. Diese Untersuchung trifft den Kern einer der größten Herausforderungen, vor denen die EU steht: Wie können gleiche Wettbewerbsbedingungen für die EU-Autohersteller gewährleistet werden, während gleichzeitig der Umstieg hin  zu regenerativen Antriebsquellen vollzogen und ein offenes Handelssystem aufrechterhalten wird?

Auch wenn die Untersuchung der Subventionierung des chinesischen BEV Sektors nicht mit einer Beschwerde der EU-Industrie begann, bin ich zuversichtlich, dass die Europäische Kommission die Untersuchung objektiv und gründlich im Einklang mit den WTO-Regeln durchgeführt hat. Um diese objektive Untersuchung nicht politisch zu motivieren und vielfältige vielleicht wahlbeeinflussende Reaktionen zu provozieren, ist es auch klug, das Ergebnis der Untersuchung erst nach den EU-Wahlen bekannt zu geben. Um es noch einmal klar zu sagen: Hier geht es um Fakten und darum, ob sich an die gemeinsam festgelegten Regeln gehalten wurde. Handelspolitik darf nicht als politischen Waffe missbraucht werden.

Sollten unlautere Subventionen festgestellt werden, wäre es völlig im Einklang mit unseren internationalen Verpflichtungen, Ausgleichszölle vorzuschlagen, die von Fall zu Fall entsprechend der Höhe der festgestellten Subventionen berechnet werden. Die EU würde niemals pauschal 100 Prozent zusätzliche Zölle auf chinesische BEV erheben, wie es die USA kürzlich getan haben. Nicht nur, weil dies nach den multilateralen Regeln nicht zu rechtfertigen wäre, sondern auch, weil wir unseren Umstieg zu regenerativen Energiequellen erfolgreich gestalten und ein offenes Handelssystem beibehalten wollen.

Die EU-Ausgleichszölle sind kein protektionistisches Instrument, sondern zielen darauf ab, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und stützen sich stets auf Beweise und Fakten. Nur so lässt sich eine Eskalation vermeiden. Und eine Deeskalation liegt im Interesse aller Beteiligten. Eine weitere Verschärfung wäre Gift für das gesamte multilaterale und regelbasierte Handelssystem. Insofern sollte China einige Andeutungen über mögliche Vergeltungsmaßnahmen in der chinesischen Presse hinsichtlich französischen Cognac, Schweinefleisch, großvolumige PKW und Flugzeuge wieder zurücknehmen. Anti-Dumping- und Anti-Subvention-Maßnahmen der EU sind immer auf Fakten basiert. Derzeit gibt es 185 Handelsschutzmaßnahmen, von denen sich 118 gegen Produkte aus China richten, darunter E-Bikes und Stahlsorten.

Und das bedeutet natürlich auch, dass die Höhe der Ausgleichszölle nur die Schädigung ausgleicht und dem Interesse der EU nicht zuwiderläuft. Insofern erwarte ich in diesem Fall keine extrem hohen Ausgleichszölle. Natürlich erwarte ich von der Europäischen Kommission, dass sie zwischen Importen von europäischen Autoherstellern in China und rein chinesischen Autos differenziert. Die Höhe der Subventionen, die in diesen beiden Fällen festgestellt werden, dürfte unterschiedlich sein. Der Anteil chinesischer Hersteller am europäischen BEV-Markt stieg von 0,4 Prozent im Jahr 2019 auf 7,9 Prozent im gesamten Jahr 2023, also um den Faktor 20. In Frankreich und Spanien wurde fast jedes dritte BEV, das 2023 verkauft wurde, in China hergestellt. Die in Europa verkauften chinesischen BEV liegen zwar über den Preisen auf ihrem Heimatmarkt, sind aber dennoch deutlich preiswerter als die europäischen Alternativen. Zudem sind die Gewinnmargen der chinesischen Hersteller wohl deutlich größer.

Abgesehen von den Subventionen, die die chinesischen Behörden gewähren, gibt es noch viele andere Faktoren, die den Autoherstellern in China Wettbewerbsvorteile bringen. China hat direkten Zugang zu Rohstoffen, eine viel stärker vertikal integrierte Lieferkette mit eigener Batterieherstellung, geringere Lohnkosten und niedrigere Energiekosten. In Anbetracht dessen ist die Erhebung von Ausgleichszöllen als Gegenmaßnahme zu den chinesischen Subventionen nur ein Teil einer umfassenderen Antwort, die von Seiten der EU erforderlich ist. Wir müssen selbst die Kurve kriegen und unsere industrielle Entwicklung stärken. Dies erfordert einen besseren Zugang zu Rohstoffen wie Lithium über Handelsabkommen mit Chile und Australien, mehr Recycling in der EU sowie die schnelle und Umsetzung unseres Gesetzes über kritische Rohstoffe und des Gesetzes über die Netto-Null-Industrie. Die neuen EU-Rechtsvorschriften über Sorgfaltspflicht in der Lieferkette, Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit und CO2-Grenzausgleich sowie die Einführung von mehr Nachhaltigkeitskriterien bei öffentlichen Ausschreibungen können ebenfalls dazu beitragen, gleiche Wettbewerbsbedingungen unter Berücksichtigung von Umweltstandards- und Arbeitnehmerrechten zu schaffen. 

Vor allem aber sollten wir nun das Ergebnis dieser Untersuchung als Grundlage für Verhandlungen mit China nutzen, um schädliche Subventionen, die den fairen Wettbewerb verzerren, zu beenden. Investitionen in die Produktion von Fahrzeugen in Europa würden diesen Prozess unterstützen. Idealerweise würden die Verhandlungen zu einer breiteren Diskussion über Industriesubventionen auch im Rahmen der WTO führen.“

Nächste Schritte:

Vorläufige Zölle können in der Regel spätestens neun Monate nach der Veröffentlichung der Bekanntmachung im Amtsblatt eingeführt werden (also nicht später als am 4. Juli 2024). Informationen über die geplante Einführung vorläufiger Zölle sollten in der Regel vier Wochen vor der Einführung vorläufiger Maßnahmen übermittelt werden, damit die von der Untersuchung betroffenen Parteien reagieren können. 

Mit der Festsetzung vorläufiger Zölle beginnt die Diskussion über das weitere Vorgehen.Die Mitgliedstaaten haben ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen im Rahmen der Untersuchung. Diese Entscheidung sollte bis spätestens Anfang November 2024 getroffen werden.“

Hintergrund:

Die Unternehmen, auf die sich die Untersuchung konzentrieren, sind BYD, Geely und Said. Die Europäische Kommission wird wahrscheinlich individuelle Zölle für diese drei Unternehmen berechnen, während andere Exporteure einen Zoll erhalten werden, der auf Durchschnittswerten der Zölle basiert. 

Bereits in der offiziellen Bekanntmachung über die Untersuchung gab die Europäische Kommission an, unter anderem die folgenden Subventionen festgestellt zu haben: Direkter Transfer von Mitteln und potenzieller direkter Transfer von Mitteln oder Verbindlichkeiten, entgangene oder nicht erhobene staatliche Einnahmen, Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen durch den Staat zu einem nicht angemessenen Entgelt (insbesondere u.a. Bereitstellung von Gütern (wie Roh- und Vormaterialien sowie Komponenten) und Dienstleistungen durch den Staat zu einem nicht angemessenen Entgelt).

Bei der Entscheidung, ob Ausgleichszölle erhoben werden sollten, muss die Europäische Kommission strenge Kriterien berücksichtigen: (1) Beweise dafür, dass die Einfuhren aus China subventioniert sind, (2) eine Schädigung des EU-Wirtschaftszweigs und (3) ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beiden genannten Bedingungen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird entschieden, ob die Einführung von Ausgleichsmaßnahmen dem Interesse der Union nicht zuwiderläuft (wobei unter anderem die Interessen des inländischen Wirtschaftszweigs und der Verwender und Verbraucher berücksichtigt werden).

Bereits im März 2024 forderte die Europäische Kommission die Zollbehörden in der EU auf, die Einfuhren von Elektrofahrzeugen aus China zu verfolgen - ein deutliches Zeichen dafür, dass sie in naher Zukunft vorläufige Zölle einführen könnte.