Anfang Februar hat die EU-Kommission den EU-Industrieplan für den grünen Deal (Mitteilung COM(2023) 62) angekündigt. Dieser soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen CO2-neutralen Industrie stärken und den Übergang zur Klimaneutralität voranbringen. Er ist auch als Antwort auf das US-Subventionsprogramm für grüne Technologien, den sogenannten „Inflation-Reduction-Act“ (IRA), zu verstehen. Letzte Woche wurden nun zentrale Gesetzesvorschläge für die konkrete Umsetzung vorgestellt.

Hier meine Kurzeinschätzung der sechs Initiativen:

  1. A. Temporary Crisis and Transition Framework and amendment of the General Block Exemption Regulation (Beschluss der EU Kommission zur Veränderung der Beihilferegeln und der Gruppenfreistellungsverordnung, dazu Mitteilung C(2023) 1711 und C(2023) 1712), 09.03.2023
  1. B. Net Zero Industry Act (Gesetzgebungsvorschlag COM(2023) 161), 16.03.2023
  1. C. Critical Raw Materials Act (Gesetzgebungsvorschlag COM(2023) 160 und Mitteilung COM(2023) 165), 16.03.2023
  1. D. Electricity Market Design revision (zwei Gesetzgebungsvorschläge: COM(2023) 148 und COM(2023) 147), 14.03.2023
  1. E. European Hydrogen Bank (Mitteilung COM(2023) 156), 16.03.2023
  1. Long-term competitiveness of the EU (Mitteilung COM(2023) 168), 16.03.2023

A) Der neue befristete EU-Beihilferahmen zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels, der nun doch bis Ende 2025 gelten wird, ermöglicht nicht nur weitreichende Subventionen grüner Schlüsselindustrien und die Dekarbonisierung industrieller Produktionsprozesse, sondern auch schnellere Notifizierungsverfahren. Dadurch soll es und durch Steuererleichterungen oder andere Anreize und Zuschüsse auch möglich werden, abwanderungswillige Unternehmen in Europa zu halten. Allerdings bedeutet das nicht, dass EU-Länder jetzt einfach jedes Angebot von außerhalb matchen können. Dafür müssen strenge Auflagen erfüllt werden. Wir müssen darauf achten, dass uns die Unternehmen zukünftig nicht gegeneinander ausspielen.

Ergänzt wurde die Änderung des Beihilferahmens noch durch eine Änderung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung. Die Ausweitung von Umweltschutz- und Energiebeihilfen (u.a. im Bereich Wasserstoff), die Erhöhung des Schwellenwertes für Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse (IPCEI) und zur Regulierung der Energiepreise erleichtern die Förderung von grüner Technologie und sind somit auch für Niedersachsen ein Mehrwert.

Allerdings hätte ich mir noch grundlegendere Änderungen gewünscht, da das EU-Beihilferecht einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Ist derzeit aber eine schwierige Diskussion, da nicht alle Mitgliedstaaten einer gelockerten EU-Beihilfepolitik positiv gegenüberstehen. Die finanzschwächeren Länder sehen sich hier im Nachteil. Ich glaube, eine wirklich sachliche Debatte können wir erst dann wieder führen, wenn es europäische Mittel wie einen Europäischen Souveränitätsfonds gibt, damit können dann diese Ungleichgewichte durch europäische Fördermittel ausgeglichen werden.

B) Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Net-Zero Industry Act (NZIA) zielt darauf ab, die Produktion von sauberen Technologien in der Europäischen Union als Teil des umfassenderen Green Deal Industrial Plan zu steigern, auch um auf den US Inflation Reduction Act (IRA) zu reagieren. Es sollen Quoten für die europäische Eigenproduktion gesetzt und eine Vereinfachung und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Schlüsseltechnologien wie Batterien, Wind- und Solar- oder Wasserstoffanlagen umgesetzt werden. Die strategische Netto-Null-Technologie-Produktionskapazität der EU sollte bis 2030 mindestens 40 % des jährlichen Bedarfs der Union erreichen. Doch die tatsächlich vorgeschlagenen Maßnahmen - bei denen es hauptsächlich um die Priorisierung strategischer Projekte in Bezug auf Genehmigungen und das Rechtssystem geht - scheinen hinter den Ambitionen noch zurückzubleiben.

Es wird nun darum gehen, die Zielsetzungen auf Effizienz und Beitrag zur Transformation zu überprüfen und sie mit sinnvollen Instrumenten zu hinterlegen, damit es auch eine Wirksamkeit gibt. Zudem muss man natürlich fragen, ob eine Priorisierung der Entscheidungswege für strategische Projekte nicht zu einer generellen Überarbeitung oder Abschaffung von überflüssigen Verfahren führen sollte. Da wir in Europa bei der Umsetzung von Projekten aber viel zu langsam sind, halte ich es für einen wichtigen Schritt, dass die Höchstdauer für Genehmigungsverfahren für Schlüsseltechnologien nun vorgeschrieben werden soll. Es ist zudem die gezielte Förderung europäischer strategischer Projekte vorgesehen. Die Förderung soll vorerst jedoch lediglich mit bereits bestehenden Finanzierungsinstrumenten erfolgen, möglicherweise könnte der Souveränitätsfonds hier entlasten, der im Sommer von der EU-Kommission vorgelegt werden soll.

Der verbesserte Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten ist wichtig. Ebenso teile ich den klaren Fokus auf zukunftsträchtige Technologien, allerdings darf man die Schlüsseltechnologien der Wertschöpfungskette auch nicht außer Acht lassen, wie die Chemie- und Stahlindustrie. Auch müssen wir die Kriterien der Versorgungssicherheit bei der öffentlichen Auftragsvergabe, die solche Projekte fördern soll, genau prüfen. Die Anforderungen müssen im Einklang mit internationalem Handelsrecht stehen und es darf hier kein „Buy European“-Zwang durch die Hintertür geschaffen werden. Von unserem klaren Bekenntnis zum Multilateralismus können wir auch jetzt nicht abweichen. Sonst würden wir mit anderen Ländern wie USA oder China gleichziehen, die wir zu Recht für ihre Abkehr vom regelbasierten Handel kritisieren.

C) Mit dem Gesetz zu den kritischen Rohstoffen soll eine diversifizierte und nachhaltige Versorgung mit kritischen und strategischen Rohstoffen gewährleistet werden. Sowohl die Pandemie als auch der Krieg in der Ukraine haben deutliche Schwächen in unseren Lieferketten offengelegt und – bereits bekannte – Abhängigkeiten bei bestimmten, für die grünen Technologien zentralen Rohstoffen von bis zu 90% von einzelnen Ländern in den Fokus gerückt. Dem will die EU Kommission jetzt gegensteuern, indem sie nicht nur den eigenen Abbau, sondern auch die Verarbeitung und das Recycling steigern will. Daneben sollen die Importe kritischer Rohstoffe der Union durch globale Zusammenarbeit, z.B. in Form eines Clubs für kritische Rohstoffe und durch bilaterale Handelsverträge mit verlässlichen Partnern diversifiziert werden. Die Verordnung unterscheidet zwischen „kritischen Rohstoffen“ mit einer gesamtwirtschaftlichen Schlüsselrolle für die EU und „strategischen Rohstoffen“, die wir für die grünen Technologien brauchen. Es soll zudem festgelegt werden, dass bis 2030 10% des jährlichen Bedarfs der EU aus eigenem Abbau gedeckt sein, 40% aus lokaler Weiterverarbeitung und 15% aus eigenem Recycling stammen soll. Zudem soll die EU 2030 nicht mehr als 65% ihres jährlichen Bedarfs für einen strategischen Rohstoff aus einem einzigen Drittstaat beziehen.

Ich halte diesen Ansatz für den richtigen Weg. Vor allem beim Recycling ist noch viel Luft nach oben. Bei den strategischen Partnerschaften, die wir eingehen, sollten wir aber keine Abstriche bei der Achtung von Menschen- oder Arbeits- und Umweltrechten aus wirtschaftlichen Interessen machen und auch die Interessen unserer Partner nach eigener Wertschöpfung beachten. Gerade als langjähriger Handelspolitiker bin ich der Überzeugung, dass wir so die Chance haben, die bereits begonnene Neuorientierung zu einer nachhaltigen Handelspolitik mit noch größeren Schritten voranzutreiben. Das bedeutet für mich aber auch, dass die EU so selbstbewusst auftritt, dass wir endlich bereit sind, unser Handelsschutzarsenal einzusetzen, um gegen Missachtung dieser Standards und Dumping vorzugehen.

D) Stabile und wettbewerbsfähige Strompreise sind für die Transformation zentral. Hier soll mit der Reform der Gestaltung des Strommarkts gehandelt werden. Allerdings hat sich in den beiden Gesetzgebungsvorschlägen – auch auf Initiative von Deutschland – im Großen und Ganzen grundlegend nicht viel geändert. Neu ist der Fokus auf stabile Energiepreise, damit sie nicht mehr den enormen Preisschwankungen der Vergangenheit ausgesetzt sind. Dafür regt die EU-Kommission langfristige Strombezugsverträge (Power Purchase Agreements, PPA) und (zweiseitige) Differenzverträge (Contracts for Difference, CfD) an, bei denen in einem langfristigen Vertrag Fixpreise vereinbart und Schwankungen des realen Preises gegenseitig abgesichert werden.

Ich halte die geplanten, eher geringen Eingriffe in das derzeitige Strommarktdesign noch nicht ausreichend – es gibt auch mehrere EU-Staaten wie beispielsweise Frankreich und Spanien, die sich tiefergreifende Eingriffe gewünscht hätten. Wir müssen einen wettbewerbsfähigen Industriestrom garantieren. Begrüßenswert sind die Maßnahmen zugunsten der Verbraucher, wie das Recht auf Wahl zwischen

Festpreis und dynamischem Vertrag oder einer Kombination, das Verbot, bedürftigen Haushalten in Zahlungsverzug den Strom abzudrehen und das Recht auf gemeinsame nachbarschaftliche Nutzung von erneuerbaren Energien. Interessant für Niedersachsen könnte noch sein, dass die Kommission auf Empfehlung der Agentur der europäischen Regulierungsbehörden (ACER) spätestens 2024 Vorschläge für neue Strompreiszonen vorlegen will. Wahrscheinlich wird sie dann eine Aufteilung Deutschlands in zwei Strompreiszonen vorschlagen, was für Niedersachsen durchaus vorteilhaft wäre.

E) Mit der Europäischen Wasserstoffbank will die EU-Kommission die Einführung von grünem Wasserstoff innerhalb der EU sowie Importe von internationalen Partnern und private Investitionen in Wasserstoff fördern, indem der Hochlauf unterstützend begleitet wird. Die Kommission beabsichtigt, die Europäische Wasserstoffbank bis Ende 2023 in Betrieb zu nehmen. Im Herbst 2023 sollen bereits Pilotauktionen stattfinden. Dazu steht zunächst ein Budget von 800 Millionen Euro zur Verfügung. Bei den Auktionen sollen Firmen mit den geringsten Herstellungskosten Zuschüsse bekommen. Das geschieht im Rahmen des inzwischen etablierten Innovations Fonds. Ausgewählte Projekte erhalten einen Zuschuss in Form einer festen Prämie pro Kilogramm produzierten Wasserstoffs für eine Betriebsdauer von maximal 10 Jahren. In diesem Zeitraum wird die Konzeption, die Aktivitäten und der institutionelle Aufbau der Europäischen Wasserstoffbank weiterentwickelt.

F) In der Mitteilung zur Strategie für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU werden neun sich gegenseitig verstärkende Triebkräfte mit 17 zentralen Leistungsindikatoren zur Verfolgung der Fortschritte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit benannt. Die EU Kommission wird die Aktualisierung dieser Indikatoren jährlich im Binnenmarkt- und Wettbewerbsanzeiger veröffentlichen. Der Ansatz ist richtig, bleibt aber noch sehr unkonkret. Die außerdem vorgesehene Vereinfachung der Berichtspflichten für Unternehmen und Verwaltungen mit ersten Gesetzesvorschlägen bis Herbst ist allgemein begrüßungswert.

Die nun angestoßenen Maßnahmen sind eine deutliche Kurskorrektur in Richtung der Sicherung und Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit, wenn auch noch nicht der große Wurf, können aber auch Chancen für Niedersachsen vor allem in Bezug auf die Gestaltung der Transformation bieten. Die Beihilferegeln gelten ja bereits, die Gesetzgebung muss aber erstmal den parlamentarischen Prozess durchlaufen. Als Vorsitzender der Konferenz der Ausschussvorsitzenden werde ich versuchen, den EP Prozess deutlich zu beschleunigen. Es ist in aller Interesse, dass diese Gesetze so bald wie möglich in Kraft treten, damit sie auch ihre Wirkung entfalten.