HAZ: "Billiges Fleisch gegen günstige Autos"

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und fünf südamerikanischen Ländern könnte bald besiegelt werden, doch vor allem Frankreich will es noch verhindern
Von Sven Christian Schulz
Brüssel. Wenn Anfang Dezember auf dem Mercosur-Gipfel in Montevideo ein neues Freihandelsabkommen mit der EU besiegelt wird, könnte dies für Europa ein Weg aus der Wirtschaftskrise sein. Die Verhandlungen mit den fünf Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela befinden sich auf der Zielgeraden, und EU-Diplomaten sind überzeugt, dass nach fast 25 Jahren der Gespräche nun ein Abkommen unterzeichnet werden kann. 90 Prozent der Zölle auf EU-Waren würden wegfallen, es entstünde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Einwohnern. Für sie sollen viele Produkte durch das Abkommen billiger werden.
Der Deal lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Europa bekommt billiges Rind- und Geflügelfleisch, die Mercosur-Staaten kaufen dafür europäische Autos, Dünger und Pestizide. Außerdem wollen die EU-Staaten Chemikalien, Medikamente, Maschinen, Textilien, Schokolade und Whisky nach Südamerika verkaufen. Bisher werden dafür hohe Zölle fällig, die europäische Produkte teuer machen.
„Das Abkommen wäre ein Hoffnungsschimmer für die EU als Ganzes, da es die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Europäischen Union ankurbeln würde“, sagt Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, dem RND. „Darüber hinaus würde ein solches Abkommen die engeren Beziehungen zu diesen Ländern stabilisieren, insbesondere da China dort bereits vor der Tür steht.“ Er verweist auf mögliche protektionistische Maßnahmen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump gegen die EU und einen drohenden Handelskonflikt zwischen China und den USA, bei dem die EU zwischen die Fronten geraten könnte. Daher sei es wichtig, mit „einer Art Sicherheitsnetz aus Handelspartnern“ die eigene Wirtschaft zu stabilisieren. Innerhalb der EU würden vor allem Spanien, Portugal, Italien und die Niederlande vom Mercosur-Abkommen profitieren. Aber auch für das stark exportabhängige Deutschland biete Mercosur „erhebliche Chancen“. Vor allem der Export von Autos, Autoteilen und Maschinen würde die deutsche Industrie stärken, auch Wein dürfte dann vermehrt in Südamerika verkauft werden. „Natürlich gilt die Zollsenkung auch umgekehrt, sodass beispielsweise Fruchtsäfte aus den Mercosur-Ländern sicherlich günstiger werden“, sagt Lange.
Billiges Rind- und Geflügelfleisch dürfte ebenfalls nach Europa kommen und hier die Preise voraussichtlich weiter drücken. So sollen den Plänen zufolge bis zu 99 000 Tonnen Rindfleisch zu einem sehr niedrigen Zollsatz in die EU exportiert werden dürfen. Schätzungen zufolge wären die Steaks und Rouladen 20 bis 30 Prozent günstiger als Fleisch aus Europa. Frankreich ist deshalb seit jeher erbitterter Gegner des Abkommens und fürchtet, dass die französischen Landwirte mit den niedrigen Preisen nicht mithalten können.
Die französische Landwirtschaftsministerin Annie Genevard führt auch gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit hormonbehandeltem Fleisch an. „Wir wollen dieses Abkommen nicht, weil es schädlich ist“, sagte sie dem TV-Sender TF 1. Die EU hat deutlich höhere Umwelt- und Gesundheitsstandards und macht strengere Vorgaben beim Einsatz von Hormonen, Wachstumsförderern und Medikamenten in der Landwirtschaft. Die französischen Einzelhandelsriesen Carrefour und Intermarché haben bereits angekündigt, kein Fleisch aus den Mercosur-Staaten zu verkaufen. Paris hatte bis zuletzt in anderen Hauptstädten um Mitstreiter für eine Sperrminorität geworben, für die mindestens vier Staaten nötig sind, die 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Doch bisher konnte Frankreich nur Polen auf seine Seite ziehen.
Für die Ratifizierung des Mercosur ist eine qualifizierte Mehrheit notwendig, also die Stimmen von 15 Staats- und Regierungschefs, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Die Bundesregierung hat bereits signalisiert, dass sie Mercosur notfalls auch gegen den Widerstand Frankreichs durchsetzen will. „In der aktuellen Lage ist es sehr schwierig, mit Frankreich einen faktenbasierten Austausch über das Mercosur-Handelsabkommen zu führen“, sagt EU-Handelspolitiker Lange. Die EU-Kommission müsse entscheiden, ob sie das Abkommen auch gegen den Willen Frankreichs den Mitgliedsstaaten vorlegen wolle oder nicht. Möglicherweise könne Frankreich zumindest zu einer Enthaltung bewegt werden, wenn im Gegenzug die französischen Landwirte Zugeständnisse erhielten. Frankreichs Parlament soll am 10. Dezember entscheiden, ob das Land auf EU-Ebene dem Abkommen zustimmt oder nicht. Eine Ablehnung gilt jedoch als sicher.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) drang vergangene Woche beim EU-Handelsministertreffen in Brüssel auf einen schnellen Abschluss der Verhandlungen. „Europa muss mehr und weitere Handelsabkommen abschließen, das betrifft vor allem das quasi fertige Mercosur-Abkommen“, sagte er. Der Text sei in den letzten Monaten und Jahren durch die Verhandlungen „deutlich nachhaltiger und besser geworden“. Es wäre die richtige Antwort auf den weltweiten Trend zu neuen Zöllen und Handelsbarrieren, das Abkommen jetzt abzuschließen.
Quellenangabe: HAZ vom 29.11.2024, Seite 8