Schmuck für den Christbaum kommt häufig aus Xinjiang, 60 Prozent der Einweghandschuhe aus Zwangsarbeit in Malaysia. Nun sollen in der gesamten EU keine Waren mehr verkauft dürfen, die von Zwangsarbeitern hergestellt wurden. So sieht es ein Gesetzentwurf vor. Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, rechnet mit einem „Murren“ der chinesischen Regierung.

Herr Lange, 28 Millionen Menschen müssen nach Schätzungen weltweit Zwangsarbeit leisten. Nun will die EU den Verkauf von Produkten aus Zwangsarbeit verbieten. Wie bewerten Sie diesen Plan?
Ich finde die Idee sehr gut, sie stammt schließlich vom Europaparlament. Es ist auch gut, dass sich die EU-Kommission angeschlossen hat. Heutzutage ist ja viel von Zeitenwende die Rede. Dieses Gesetz ist so eine Zeitenwende. So etwas hat es noch nie gegeben. Die Zwangsarbeit ist zwar seit Jahrzehnten auf UN-Ebene verboten. Doch hat das viel zu oft nur wenig an der Problematik verändert. Das wird nun auf EU-Ebene anders. In der gesamten EU sollen keine Waren mehr verkauft werden dürfen, die von Zwangsarbeitern hergestellt wurden. Das gilt auch für Produkte, die in der EU selbst hergestellt wurden. 

Aus welchen Ländern kommen die Waren zu uns?
Die Liste ist sehr lang. Christbaumschmuck zum Beispiel. Der kommt in der Regel aus der chinesischen Provinz Xinjiang, wo die chinesischen Behörden Hunderttausende von muslimischen Uiguren unterdrücken und für sich arbeiten lassen. Und da gibt es auch noch die blauen Einweg-Handschuhe, die wir alle in der Corona-Pandemie kennengelernt haben. 60 Prozent dieser Handschuhe kommen aus Malaysia und werden dort in Zwangsarbeit hergestellt. Auch Mineralien und Metalle aus Honduras und Guatemala werden von Zwangsarbeitern geschürft und gelangen auf den europäischen Binnenmarkt.

Gibt es in Deutschland und in der EU auch Zwangsarbeit?
Zwangsarbeit ist hierzulande mit Sicherheit nicht so verbreitet wie in den Ländern, die ich geradeaufgezählt habe. Aber ausschließen lässt sich das nicht. Denken Sie an die Debatten, die wir über die Behandlung von Migranten in der deutschen Fleischindustrie hatten. Oder Vorwürfe gegen spanische Tomatenbauern. Diese Fälle muss man sich ansehen. Das Gesetz, das vielleicht schon in zwei Jahren in der EU gelten wird, wird sicher abschreckend wirken.

Welche Firmen min der EU profitieren von der Zwangsarbeit? 
Das lässt sich nicht immer genau spezifizieren. Denn teilweise handelt es sich bei Waren aus Zwangsarbeit um Vorprodukte, die Teil einer langen Lieferkette sind. Am Ende lässt sich dann gar nicht so einfach sagen, welche Komponenten eines Endprodukts aus welchen Ländern kommen.

Sprechen Sie von Teilen für die Autoproduktion?
Ja, die Autoindustrie gehört auch dazu. Volkswagen zum Beispiel lässt Teile in Xinjiang herstellen. Da liegt die Vermutung nahe, dass an der Produktion auch Zwangsarbeiter beteiligt sein könnten. Aber auch BASF ist in der Region unterwegs. Das neue Gesetz wird helfen, die Lieferketten zu durchleuchten. Dann lassen sich Verstöße leichter feststellen. Es lässt sich aber auch leichter sagen, dass ein Unternehmen überhaupt keine Probleme mit Produkten aus Zwangsarbeit hat.

Die USA gehen noch härter gegen Produkte aus Zwangsarbeit vor. Sie haben ein Importverbot für Waren aus Xinjiang erlassen. Warum macht das die EU nicht auch?
Ich halte nichts davon. Das geht mir zu sehr in Richtung politische Waffe. Es geht uns nicht darum, einen Generalverdacht auszusprechen. Wir wollen lieber ein wirkungsvolles Instrument gegen die Zwangsarbeit entwickeln. Und dazu gehört, dass wir auch gegenProdukte vorgehen wollen, die innerhalb der EU in Zwangsarbeit entstanden sind. Das machen die USA nicht. Was im eigenen Land geschieht, fällt dort durch den Rost. Dabei könnte man durchaus argumentieren, dass die Arbeit mancher Strafgefangener in den USA auch als Zwangsarbeit bezeichnet werden könnte.

Bei allem Bemühen, keinen Generalverdacht auszusprechen - die Chinesen dürften nicht erfreut sein über das neue EU-Gesetz?
Da sollten wir den Ball vorerst flach halten. Die chinesische Führung wird das Gesetz nicht gut finden, aber letztlich sind die Chinesen an guten Handelsbeziehungen zum größten Binnenmarkt der Welt interessiert. Sie werden also murren, aber ich rechne nicht mit Wirtschaftssanktionen.

Nach dem jetzt vorgelegten Gesetzesentwurf müssen die Behörden der EU-Staaten den Unternehmen nachweisen, dass sie Produkte aus Zwangsarbeit verkaufen. Reicht dafür das Personal zum Beispiel beim Zoll? Und wäre es nicht besser gewesen, die Beweispflicht bei den Unternehmen anzusiedeln? 
Wir haben ein Lieferketten-Gesetz. Darin müssen Unternehmenohnehin schon transparent machen, woher ihre Produkte kommen. Außerdem wären kleinere und mittlere Unternehmen damit überfordert, wenn sie selbst Recherchen anstellen müssten, ob ihre Ware oder Teile davon in Zwangsarbeit entstanden ist. Deswegen ist es Aufgabe des Staates nachzuweisen, wenn gegen solche Gesetze verstoßen wird. 

Also muss der Zoll mehr Fahnder:innen einstellen? 
Natürlich braucht man für diese neue Aufgabe mehr Personal. Das sollte es uns aber wert sein. Außerdem ist nicht jede nationale Zollbehörde auf sich allein gestellt. Wir müssen eine Datenbank aufbauen, die bei der EU angesiedelt ist. Darin müssen alle Hinweise auf Zwangsarbeit akribisch gesammelt werden, damit die jeweilige Zollbehörde darauf zurückgreifen kann. Das muss in einem europäischen Rahmen stattfinden. Einen Flickenteppich nationaler Regelungen brauchen wir nicht.

INTERVIEW: DAMIR FRAS