Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen,
nach der Zustimmung zum CETA-Abkommen durch das europäische Parlament wird der Handelsteil vorläufig für fünf Jahre angewandt. Nun kommt durch die Mitgliedstaaten Bewegung in die Ratifizierung. Da das Ceta-Abkommen ein gemischtes Abkommen ist, ist eine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten auch notwendig. 16 von 27 Mitgliedstaaten haben bereits ratifiziert. Die Ampel Koalition hat nun eine Ratifizierung auch durch Deutschland vorgesehen. Um im modernisierten Investitionsschutz zusätzlich noch weitere Klarheiten zu schaffen, ist ein Verständigungsdokument erarbeitet worden. Damit wäre der Weg für die Ratifizierung in Deutschland frei. Nun gibt es einige kritische Stimmen und einige NGO's wollen Ende September eine Aktionswoche organisieren. Anliegend findet ihr mein kurzes Positionspapier zum Sachstand.

Die aktuellen Handelsabkommen der EU legen Regeln für die Wirtschaftsbeziehungen fest, die weit über die Bestimmungen der Welthandelsorganisation hinausgehen und Leitplanken für einen fairen Handel setzen und somit den völlig unregulierten Freihandel überwinden. Das CETA-Abkommen ist eines dieser neuen Handelsabkommen. Deutschland sollte es aus mindestens diesen 5 Gründen ratifizieren:

1. Die wirtschaftlichen Vorteile des Abkommens sind erheblich. Im Vergleich zu 2016, dem letzten ganzen Jahr vor der vorläufigen Anwendung des CETA-Handelsteils (bilaterale Handelsströme in Höhe von 46,3 Mrd. EUR), werden die bilateralen Handelsströme zwischen der EU und Kanada im Jahr 2021 im Hinblick auf Waren um 31 % steigen (bilaterale Handelsströme in Höhe von 60,7 Mrd. EUR). Dieser verstärkte Handel kommt nicht nur größeren Unternehmen zugute, sondern auch den KMU. Unser Handelsabkommen mit Kanada hat der EU enorm dabei geholfen, den wirtschaftlichen Abschwung im Zusammenhang mit Covid zu überstehen. CETA schafft nicht nur zusätzliche Arbeitsplätze, sondern hat auch starke Auswirkungen auf das tägliche Leben der Menschen. Um ein sehr konkretes Beispiel zu nennen: Vor kurzem haben Kanada und die EU vereinbart, die Architekturabschlüsse der jeweils anderen Seite anzuerkennen. Im Jahr 2023 werden EU-Architekten, die in Kanada arbeiten wollen, und umgekehrt, fast so frei arbeiten können wie in ihrem Heimatland.

2. Für unser Bestreben nach Klimaneutralität, brauchen wir einen bevorzugten Zugang zum kanadischen Markt. Wir werden nicht nur Wasserstoffimporte benötigen, sondern auch wichtige Mineralien wie Kobalt und Nickel, die unter anderem in Kanada produziert werden. Letztes Jahr haben die EU und Kanada außerdem eine strategische Partnerschaft für Rohstoffe ins Leben gerufen, die darauf abzielt, unsere Rohstoff-Wertschöpfungsketten zu integrieren und die Zusammenarbeit bei Innovationen zu stärken.

3. Die deutsche Regierung hat, obwohl das Investitionskapitel bereits solide war, nun einen zusätzlichen Text ausgehandelt, der alle noch vorhandenen Bedenken ausräumt. CETA ist das erste Handelsabkommen der Welt, das private Schiedsgerichte nicht mehr anerkennt. Damit haben sich die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament zusammen mit den sozialdemokratischen Handelsministern der EU durchgesetzt. CETA sieht erstmals die Einrichtung eines rechtsstaatlich organisierten und öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichts vor. Eine neue Auslegungserklärung soll sicherstellen, dass Investoren den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus nicht missbrauchen können und dass die EU und Kanada die Freiheit haben, in der Klima-, Energie- und Gesundheitspolitik zu regulieren. Damit wird auch sichergestellt, dass die Regierungen und die Politik den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen Investoren handeln können (und nicht umgekehrt). Eine vollständige Ratifizierung würde das Inkrafttreten der übrigen Bestimmungen über Investitionen ermöglichen.

Ein großes Plus für unsere ausländischen Direktinvestitionen: Im Jahr 2020 beliefen sich die deutschen DI-Bestände im Ausland nach Kanada auf 15 Milliarden Euro, während sich die DI-Bestände im Inland auf 6,2 Milliarden Euro beliefen. Dies entspricht einem Anstieg von 8 % bzw. 262 % im Vergleich zur Situation vor Inkrafttreten von CETA (14 Mrd. Euro und 1,7 Mrd. Euro im Jahr 2016).

4. Wir müssen unsere Partnerschaften pflegen. Angesichts des Krieges in Europa, der hohen Inflation und der steigenden Energiekosten müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um mit gleichgesinnten Partnern zusammenzuarbeiten und gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen. Kanada hat sich als starker Verbündeter im Kampf gegen die illegale Aggression Russlands in der Ukraine erwiesen. Darüber hinaus ist Kanada einer unserer verlässlichsten Partner, wenn es darum geht, den regelbasierten Handel und die multilaterale Zusammenarbeit insgesamt zu verteidigen. Wir wissen beide, wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass unsere Welt durch Regeln und nicht durch das Gesetz des Dschungels regiert wird.

5. Diesen Abkommen ist ein „lebendiges“, sich weiter entwickelndes Abkommen und es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass es in Zukunft noch nachhaltiger werden wird. Das Abkommen enthält bereits viele verbindliche grundlegende Bestimmungen zur nachhaltigen Entwicklung, wie z. B. die grundlegenden Arbeitnehmerrechte. In diesem Zusammenhang sollten wir nicht vergessen, dass CETA ein zusätzlicher Anstoß für Kanada war, das IAO-Übereinkommen 98 über Tarifverhandlungen zu ratifizieren. Das Abkommen ist auch wegen der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung bemerkenswert. Seit seinem vorläufigen Inkrafttreten haben sich beide Partner auch verstärkt mit Themen wie Handel und Gender beschäftigt. Aber das ist nicht nur eine Geschichte von CETA: Die EU macht ernsthaft Fortschritte, wenn es darum geht, den Handel nachhaltiger zu gestalten. Das Pariser Klimaabkommen wird ein zentraler Bestandteil jedes künftigen Abkommens sein, und im Falle von Arbeits- oder Umweltverstößen werden Handelssanktionen möglich sein. Da die EU und Kanada zu den fortschrittlichsten Akteuren im Bereich des nachhaltigen Handels gehören, wird dieses neue Modell auch zwischen der EU und Kanada diskutiert werden, um das Abkommen zu aktualisieren.

Allzu oft beruhen Aussagen zum Handel nicht auf Fakten. Es ist zum Beispiel absolut nicht wahr, dass ein Handelsabkommen EU-Recht aushöhlen kann. Wenn wir über ein so wichtiges Abkommen wie CETA diskutieren, dann sollten wir uns wirklich mit den Bestimmungen des Abkommens befassen.

Und schließlich: Wenn wir es nicht schaffen, ein Handelsabkommen mit Kanada zu ratifizieren, mit wem dann? Die jüngsten Schocks haben uns gezeigt, dass die Welt miteinander vernetzt ist. Diejenigen, die sich abschotten wollen und fälschlicherweise glauben, wir könnten alles im eigenen Land produzieren, werden mit leeren Händen zurückkommen. Wir brauchen stärkere Partnerschaften mit verlässlichen Partnern, um den Klimawandel und die Energiekrise zu bekämpfen. Und wir müssen das, wozu wir uns verpflichtet haben, auch einhalten.

Bernd Lange, 06.09.2022