"Wir lassen uns nicht erpressen“
Start der achten EU-UK-Verhandlungsrunde zu Post-Brexit-Beziehungen
Kurz vor dem Start der neuen Verhandlungsrunde über das künftige Verhältnis von Großbritannien und der EU am Dienstag hat Boris Johnson mit dem Aussetzen von Teilen des Scheidungsvertrags gedroht – wenn es bis zum 15. Oktober keine Einigung gebe.
Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europäischen Parlament und Mitglied der UK-Koordinierungsgruppe:
"Offenbar
widerspricht ein geplanter Gesetzentwurf für den britischen Binnenmarkt
den Verpflichtungen im Austrittsabkommen zu Nordirland und zu
staatlichen Beihilfen - damit wird ein völkerrechtlicher Vertrag
untergraben. Wenn das so kommt, sind die noch laufenden Verhandlungen
über ein Handelsabkommen zum Scheitern verurteilt. Wie kann man der
britischen Regierung noch trauen, dass sie geschlossene Verträge
einhält?
Ich bin schockiert. So geht man nicht mit Verhandlungspartnern um. So etwas habe ich in Jahrzehnten noch nicht erlebt. Jetzt der einzig immer verhandlungsbereiten Seite eine Deadline setzen und den schwarzen Peter zuschieben. Wir werden uns nicht erpressen lassen. Dass die gemeinsame politische Erklärung für Boris Johnson nicht das Papier wert war, auf dem sie stand, hat sich angedeutet. Jetzt hat er es ausgesprochen. Damit lässt Boris Johnson die bisherigen Verhandlungen und die seriösen Bemühungen der Europäischen Union zu einer Farce verkommen.
Wir werden uns durch diese
taktischen Spielchen nicht auseinander dividieren lassen, sondern an
unserem bisherigen konstruktiven aber bestimmten Vorgehen festhalten -
im Geiste der gemeinsamen politischen Erklärung von vor acht Monaten,
die beide Seiten unterschrieben hatten. Wir halten uns an Abmachungen.
Seine Verhandlungsposition hat das Europäische Parlamentes in einer
Entschließung im Juli noch einmal bestätigt. Ein Abkommen um jeden Preis
kann und wird es nicht geben.
Was für ein Wahnsinn, heute
zu glauben, man könnte tatsächliche Souveränität in völliger
Unabhängigkeit erreichen. Im heutigen Meer der Globalisierung mit
mächtigen globalen Playern entwickelt man Souveränität nur gemeinsam.
Das zeigt die Erfolgsgeschichte der EU und vieler Staaten, die Verträge
geschlossen haben und diese auch einhalten. Die britische Illusion von
der Souveränität, wird zum größten Souveränitätsverlust der britischen
Geschichte führen."
Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlament, Mitglied der informellen EU-UK Friendship Group:
"Das
Vereinigte Königreich hat mit dem Austrittsabkommen einen
völkerrechtlich verbindlichen Vertrag geschlossen. Es ist nicht nur
rechtswidrig sondern auch hochriskant, die Nordirlandfrage wieder
aufzuschnüren. Johnson gefährdet damit nicht nur die Glaubwürdigkeit des
Vereinigten Königreiches auf internationaler Ebene, sondern auch den
Frieden auf der irischen Insel.
Die EU verhandelt weiter
in bester Absicht, ein Abkommen zu schließen. Wir sind seit dem Beginn
klar in unserer Linie: Vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt wird
es nur bei Einhaltung unserer gemeinsamen Regeln geben.
Wenn
Johnson die Verhandlungen beschleunigen will, ist das auch in unserem
Interesse. Dann brauchen wir in den Verhandlungen aber keine Drohungen,
sondern endlich inhaltlich Fleisch am Knochen. Klar ist: Wir haben auf
europäischer Seite Vorbereitungen für einen No Deal getroffen. Ein
Austritt ohne Abkommen schadet dem UK mehr als der EU, soviel steht
fest."