Die EU-Kommission hat ihren Entwurf für ein Richtlinie vorgestellt, mit der Unternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards verpflichtet werden sollen. Die Wirtschaft fürchtet unüberschaubare Haftungsverpflichtungen und einen Flickenteppich bei der Umsetzung.

Zweimal musste der Termin zur Präsentation des EU-Lieferkettengesetzes verschoben werden, weil der „Ausschuss für Regulierungskontrolle“ der EU-Kommission Bedenken vorbrachte. Am Mittwoch war es nun soweit. Die EU-Kommissare Didier Reynders (Justiz) und Thierry Breton (Binnenmarkt) stellten den Entwurf einer Richtlinie zur „Corporate Sustainability Due Diligence“ der Öffentlichkeit vor – acht Monate später als ursprünglich geplant.

Wie erwartet, gehen die Regelungen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus, das ab dem 1. Januar 2023 gilt. Beim Anwendungsbereich, den Sorgfaltspflichten, den notwendigen Maßnahmen und den Sanktionen sind strenge Regelungen vorgesehen. Brüssel will Betreibe ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Mio. Euro für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten zu Sozial- und Umweltstandards in die Pflicht nehmen. In den „Hochrisiko“-Bereichen Landwirtschaft, Ernährung und Textil sind Unternehmen bereits ab 250 Mitarbeitern und 40 Mio. Euro Umsatz betroffen. „Auch bei den Sorgfaltspflichten finden sich weitreichendere Regelungen gegenüber dem deutschen Gesetz. Der Entwurf umfasst alle internationalen anerkannten Menschenrechtskataloge, was auch ein Recht auf Bildung oder die Meinungsfreiheit beinhaltet. Bei den Umweltstandards sind etwa auch Belange der Biodiversität einbezogen, was für Agrarrohstoffe Auswirkungen haben kann“, bilanziert Thomas Voland von der Kanzlei Clifford Chance. „Der Entwurf postuliert zudem eine Verantwortlichkeit der großen Unternehmen für das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen, das in die Governance integriert werden soll.“

Und auch bei den Sanktionen für Sorgfaltspflichtverletzungen zeigt sich Brüssel deutlich als Berlin. Die Kommissare planen umsatzbezogene Bußgelder und eine zivilrechtliche Haftung für Betroffene. Letzteres war ein großer Streitpunkt bei den Diskussion um das deutsche Lieferkettengesetz. Am Ende hatte der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen direkten Haftungstatbestand für deutsche Unternehmen blockiert.

Nach der deutschen Regelung beschränken sich die Sorgfaltspflichten zudem auf den unmittelbaren Lieferanten. Nur im Falle positiver Kenntnis von Verstößen besteht eine Verantwortung für mittelbare Zulieferer. Brüssel sieht dagegen eine Verpflichtung für die gesamte Wertschöpfungskette vor, sofern eine „etablierte Geschäftsbeziehung“ gegeben ist. „Damit können auch Konstellationen erfasst sein, bei denen Händler Waren über Einkaufsgesellschaften beziehen, aber auch Kontakte zu den eigentlichen Produzenten haben“, sagt Lothar Harings, Außenhandelsexperte der Kanzlei Graf von Westphalen.

„Wir begrüßen, dass es nun eine europäische Regelung geben soll“, betont Stefanie Sabet. Sorgen bereitet der Leiterin des Brüsseler Büros der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE) der Gestaltungsspielraum, den die EU-Staaten bei der Umsetzung haben. Es drohe ein Flickenteppich in Europa. Der SPD-Politiker Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschuss im EU-Parlament, sieht in dem Entwurf einen „guten Aufschlag mit vielen sinnvollen Elementen“.