Die EU-Kommission will im Kampf gegen den Klimawandel gegensteuern: Künftig sollen seltene Erden und andere kritische Rohstoffe auch in Europa abgebaut werden. Zudem soll die Industrie klimafreundlicher produzieren.

Im Kampf gegen den Klimawandel will die EU-Kommission die Industrie grundlegend umkrempeln. Weniger Bürokratie, beschleunigte Genehmigungen, mehr staatliche Beihilfen und weniger Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen aus dem Ausland sollen dafür sorgen, dass die Wirtschaft ihren Beitrag auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität im Jahr 2050 leisten kann. Die Brüsseler EU-Behörde stellte am Donnerstag neue Großprojekte vor. Die dürften noch zu kontroversen Debatten führen.

Mit einem eigenen Gesetz will die Behörde von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die EU unabhängiger von Rohstofflieferungen aus dem Ausland machen. Gleichzeitig soll damit verhindert werden, dass Lieferketten – wie in der Corona-Pandemie geschehen – über Monate hinweg unterbrochen sind. So hatte etwa der Corona-Lockdown in Shanghai im vergangenen Frühjahr Lieferketten weltweit empfindlich gestört und Lieferungen deutlich verzögert.

Kritische Rohstoffe: 10 Prozent des Jahresverbrauchs sollen aus der EU kommen

Mindestens 10 Prozent des EU-Jahresverbrauchs an bestimmten Erzen, Mineralien und Konzentraten sollen bis 2030 in der EU selbst abgebaut werden. Vor allem sind das Rohstoffe, die für die Herstellung von Handys und Elektroautos, Computerchips, Batterien, Solaranlagen und Windturbinen benötigt werden.

Heute ist die EU in dieser Hinsicht komplett abhängig vom Ausland. So kommen nach von der Leyens Worten derzeit 98 Prozent der sogenannten seltenen Erden aus China und 90 Prozent von Bor aus der Türkei. Magnesium stamme zu 90 Prozent aus China sowie 78 Prozent des Lithiums, das für Produktion von Batterien wichtig ist. Die EU wird auch auf Dauer von diesen Lieferanten abhängig bleiben, will aber sicherstellen, dass zumindest eine strategische Rohstoffreserve aus der EU kommt.

Mit einem zweiten Gesetz zur CO₂-neutralen Industrie will die EU-Kommission die Industriekapazitäten in der EU langfristig sichern, sofern sie klimafreundlich produzieren. Dazu sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt sowie die staatlichen Beihilferegeln vereinfacht werden. Den Plänen zufolge sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 40 Prozent der Technologien für eine klimafreundliche Wirtschaft in der EU hergestellt werden, so wünscht es sich Kommissionspräsidentin von der Leyen.

Die EU reagiert auch auf China

Welche Branchen genau von Sonderregeln profitieren sollen, ist noch umstritten. Die Debatte darüber hat gerade erst begonnen. Von der Leyen lobte ihren eigenen Vorschlag mit den Worten: „Das Netto-null-Industrie-Gesetz sorgt für Tempo, Vereinfachung, und es stellt Fördergelder bereit.“

Mit dem Gesetz reagiert die EU auch auf Bemühungen Chinas, sich auf dem Markt für Elektrofahrzeuge nach vorne zu schieben. „Systemrivalen versuchen, unsere Industriekapazitäten an sich zu ziehen und damit unsere Abhängigkeiten von morgen zu schaffen“, sagte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Im Bereich Elektroautos sehe er etwa ein reales Risiko, dass die EU zum Nettoimporteur werden könnte, also mehr E-Fahrzeuge importieren als exportieren werde. Schließlich habe China im vergangenen Jahr Deutschland überholt und sei zum zweitgrößten Autoexporteur der Welt aufgestiegen, so Breton.

Indirekt will die EU-Kommission mit dem Gesetz auch die Voraussetzungen schaffen, um nicht wieder überrascht zu werden, wenn ein ausländischer Staat seine eigene Industrie fördern will und damit den Europäern Wettbewerbsnachteile beschert. So hatte der sogenannte Inflation Reduction Act der US-Regierung die Alarmglocken in Brüssel schrillen lassen. Die Sorge machte sich breit, dass europäische Unternehmen ihre Produktion in die USA verlagern könnten, weil sie dort Steuervorteile erhalten. Erst nach einem Besuch von der Leyens bei US-Präsident Biden vor einigen Tagen beruhigten sich die Gemüter etwas. Die EU-Kommissionspräsidentin hofft seither, dass europäische Firmen auch von den US-Steuergeschenken profitieren werden.

Europaparlament begrüßt die Pläne

Die meisten Parteien im Europarlament begrüßten die Pläne der EU-Kommission im Grundsatz. Der Chef des einflussreichen Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), sprach von einem „Gamechanger für die europäische Industriepolitik und unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit“. Das neue Leitmotiv der EU trage den Namen „Europe Fast“. Das sei auch dringend nötig. Wer in der sogenannten Green-Tech-Branche zu lange abwarte, werde das Wettrennen verlieren.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese: „Wir müssen hier jetzt überall Gas geben, um das Klima zu schützen und von Russland unabhängig zu werden.“ Auch die Europa-Grünen begrüßten die Vorschläge. Das Netto-null-Industrie-Gesetz sei eine entscheidende Weiche, sagte Anna Cavazzini, Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im Europaparlament: „Europa braucht dringend die Solar-, Wind- und geothermischen Energien und Netztechnologien, die dieses Gesetz fördert. Gerade in Strukturwandelregionen können so nachhaltig Arbeitsplätze geschaffen werden.“